Was auf den Trümmern von Dublin bauen?

Die Ereignisse überschlagen sich im Moment, daher hier der Versuch einer Deutung der Geschehnisse.

Der Fall der Berliner Mauer 1989 hat das Ende des Kommunismus und damit das „Ende der Geschichte“ eingeläutet. Damit war gemeint, dass das Doppelpack Demokratie und Kapitalismus ohne ernsthafte Gegenmodelle als das bestmögliche System hervorgegangen war. Viele haben angenommen, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein würde, bis sich beides europa- und auch weltweit durchsetzen würde.

Ohne ernsthaften Gegner war es dem Kapitalismus möglich, sämtliche Schranken zu überwinden, Schritt für Schritt. Für die Demokratie war es hingegen schwieriger geworden, neue Bereiche zu erobern. Die Stärke des Einen und die Schwäche des Anderen führte dazu, dass sich das Vermögen und damit die Macht immer ungleicher verteilte. Eine Entwicklung, die bis heute anhält und die es besonders den rechten PolitikerInnen ermöglichte, weitreichend Fuß zu fassen. Österreich war hier mit Jörg Haider ausnahmsweise mal früher dran, später folgten Le Pen, Berlusconi, Gert Wilders und noch viele andere. Während die Linke Mühe hatte, die Menschen mit einem positivem Zukunftsbild für sich begeistern, bauten die Rechten nicht nur ihre eigene Macht aus, sondern drängten auch noch die Gesellschaft als Ganzes nach rechts. Plötzlich besetzte die Sozialdemokratie Positionen, die vor 30 Jahren noch undenkbar, weil reaktionär und unsolidarisch waren. Und die Konservativen haben viele Positionen der Rechten übernommen. Manchmal aus Kalkül, oft aus mangelnder Reflektion. Genutzt hat es den beiden großen Volkspartei-Strömungen in Europa wenig, beide hatten in den letzten Jahren mit einem massiven Mitglieder- und WählerInnenschwund zu kämpfen.

Diese politische Entwicklung hat viele Bereiche beeinflusst: Sozialstaatliche Errungenschaften standen wieder zur Debatte. Die Gewerkschaften wurden geschwächt. ArbeiterInnenrechte wurden reduziert oder abgeschafft. Randgruppen wie BettlerInnen oder Roma und Sinti wurden mehr und mehr stigmatisiert. Förderungen für Kunst- und Kultur wurden reduziert oder für Repräsentationskunst im Sinne der Förderer umgeleitet. Besonders im Asylwesen verschärfte sich der Ton zunehmends. In Österreich war vor wenigen Wochen auf einmal der rechte Volkshetzer in Umfragen auf dem ersten Platz. Während die lärmende Minderheit die rechten Parolen lautstark auf der Straße und in Onlinemedien wiederholte, die sie in Discos und Bierzelten von den rechten PolitikerInnen hörte, war die schweigende Mehrheit wie paralysiert. Und aus viele Gesprächen heraus glaube ich vor allem deswegen, weil es niemand schaffte, dem Mob etwas entgegenzustellen, der sich hier zusammenbraute. Jeden Tag eine weitere schlechte Nachricht: Flüchtlinge, die im Freien schlafen müssen. Hetzer, die ihnen wahlweise den Tod durch Vergasung, Flammenwerfer oder Bomben wünschen. Politische Alianzen zwischen Sozialdemokraten und Freiheitlichen, die genau diese Stimmung salonfähig und mehrheitsfähig machen.

Foto: Jürg Christandl

Foto: Jürg Christandl

Aber diese Pendelbewegung scheint nun an ihrem Scheitelpunkt angenommen zu sein. Die schweigende Mehrheit dürfte langsam realisieren, dass sie selbst gefragt ist, sich gesellschaftlich und politisch zu engagieren. Es werden Gruppen gegründet, die rechte HetzerInnen systematisch suchen und anzeigen. Die Spendenbereitschaft ist groß wie nie. Flüchtlingshilfsprojekte schießen wie die Schwammerl aus dem Boden, viele können sich vor dem Ansturm kaum retten, wie wir selbst in der Tabakfabrik gesehen haben. Auf dem Nukefestival nehmen 20.000 Leute vor einer Bühne an einer Schweigeminute teil und applaudierend tosend bei der klaren Ansage Refugees Welcome. Und weil tausende Menschen in einer Nacht heute die Grenze von Ungarn nach Österreich überqueren, kaufen Menschen die Supermärkte leer und bringen ihnen Proviant an den Bahnhöfen. Es scheint sich etwas quer über alle Bevölkerungsschichten zu bewegen.

Und heute Nacht könnte etwas historisches passieren: Nach Deutschland haben nun auch Ungarn und Österreich die Dublin Verordnung, die für viele Missstände in der Flüchtlingspolitk verantwortlich ist, effektiv gekippt. Freilich aus fast diametral verschiedenen Gründen, aber immerhin. Die Dublinverordnung besagt, dass Asylverfahren von Flüchtlingen in jenem Land durchgeführt werden müssen, wo sie als erstes Mal registriert werden. Damit haben die EU-Kernländer ohne Außengrenzen ihre Verantwortung nach außen delegiert – just an jene Länder, die in der aktuellen Wirtschaftskrise die schlechteste Ausgangslage hatten, diese wahrzunehmen. Eine Lösung, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt wurde, weil sie jegliche gesellschaftliche und soziale Realität ignorierte.

Wien Demo Menschlich sein 2015 Daniel Landau

Foto: Daniel Landau

Das öffnet ein kleines Zeitfenster, um nicht nur das Dublin Verfahren, sondern auch die EU selbst zu reformieren. Denn das Versagen der EU in der Flüchtlingsfrage kommt nicht überraschend, sondern steht stellvertretend für einen grundlegenden Konstruktionsfehler der europäischen Union: Sie ist eine Wirtschaftsunion und keine Sozialunion. Doch soziale Herausforderungen wie jene der Flüchtlingsverteilung, der Armut oder der Menschenrechte kann man nur mit Sozialpolitik und nicht mit Wirtschaftspolitik alleine lösen. Wer einen gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsraum bildet, muss auch einen gemeinsamen Gesellschaftsraum bilden. An einem Europa der vereinigten Staaten führt a la long kein Weg vorbei. Darüber habe ich vor kurzem schon geschrieben.

Dieses Problem muss Europa nun in Angriff nehmen. So gut wie heute Nacht waren die Chancen dafür vielleicht noch nie.

Wie Europa ändern?

Foto myri_bonnie CC by-nc-nd 2.0 -> https://www.flickr.com/photos/myri_bonnie/5553328934/

Foto: myri_bonnie CC by-nc-nd 2.0

Europaweit erstarken seit einigen Jahren rechte und rechtsextreme Strömungen wie schon lange nicht mehr. Bei der Bestimmung der Ursachen gibt es in den fortschrittlichen Teilen der Linken zu großen Teilen Übereinstimmung: Trotz einem quantitativen Anstieg des Wohlstands haben stetig wachsende Teile der Gesellschaft existentielle Angst vor Armut, Abstieg und Ausschluss. Genau diese Angst kapitalisieren rechte Populisten , in dem sie einfache Antworten auf schwierige Sachverhältnisse bieten. Dabei werden die Rechten durch ein unterfinanziertes Bildungssystem unterstützt, das sich zudem heute über weite Teile auf die Berufs-Ausbildung denn auf die Bildung mündiger und kritischer Menschen konzentriert. Hand in Hand damit geht über weite Strecken eine Medienlandschaft, die heute zwar nicht mehr oder weniger kommerziell als vor 100 Jahren ist, aber durch die exponentiell gestiegene Vielfalt des Medien- und Kulturangebots in einer Abwärtsspirale im Kampf um die mehr und mehr geteilte Aufmerksamkeit gefangen ist. Auch die zunehmende Mechanisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt und die dadurch entstehende Verknappung von Arbeit befeuert den Abstiegskampf, den mehr und mehr Menschen heute kämpfen müssen.

Nun gibt es hunderte Konzepte und Ideen, wie eine bessere Bildungspolitik aussieht. Eine mutige Medienpolitik wird die Inseratschleusen zu den Boulevardmedien schließen und stattdessen Qualitäts- und selbstorganisierte Medien unterstützen. Eine Verkürzung der Arbeitszeit und die Einführung einer Maschinen- oder Kapitalsteuer sorgt für eine gerechte Verteilung von Arbeit und damit Einkommen. All das würde langfristig den Rechten die Grundlage ihrer Erfolge rauben.

Aber warum werden diese lösbaren Probleme nicht gelöst? Warum schaffen es die Rechten immer und immer wieder, Diskurse maßgeblich zu besetzen und zu steuern, während linke Ideen nur in Fachkreisen und kleinen Elitezirkeln diskutiert werden?

Sehen wir uns diese Fragestellung strategisch an. Viele Diskurse der Linken scheitern daran, dass sie nicht auf Länder oder gar Kommunalebene greifen, während die vermeintlichen Lösungen der Rechten sowohl emotional als auch sachlich nahe an den Menschen sind. Beispielsweise hat der Anstieg von BettlerInnen aus anderen EU Ländern dazu geführt, dass in vielen Ländern und Städten gegen jede Vernunft restriktive Bettelverbote durchgesetzt wurden. Die Rechten schaffen es, oft in Kooperation mit dem Boulevard, zuerst die Stimmung aufzuheizen, um sich dann nach einem Einknicken der Konservativen sowie leider oft der Sozialdemokratie als Retter feiern zu lassen. Es entstand ein internationales Wettrennen der Inhumanität, in dem BettlerInnen (oft Rom und Sintis) von einem Land ins Nächste, von einer Stadt in die Nächste, vertrieben werden, wo freilich die nächsten rechten Hetzer warteten und die nächsten Linken daran verzweifeln, sinnvollere politische Ansätze zu vermitteln. Eine vernünftige Politik würde dafür sorgen, die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern zu verbessern, darauf weisen viele AktivistInnen seit Jahren hin. Das würde freilich Solidarität und ein gemeinsames Vorgehen über die Staatsgrenzen hinweg erfordern, das weit und breit nicht in Sicht ist.

Foto: Rasande Tyskar CC by-nc-2.0

Foto: Rasande Tyskar CC by-nc-2.0

Das Gleiche kann prinzipiell auch über die aktuelle „Asylkrise“ gesagt werden, die vielmehr ein Versagen der politischen Linken darin darstellt, sich der Angstpropaganda der Rechten und Konservativen wirkungsvoll entgegenzustellen. Auch hier bräuchte es eine supranationale Perspektive und internationale Politik, statt sich in endlose Debatten zu verstricken, welches Land nun welche Quote erfüllt oder nicht. So wird die Bühne von PolitikerInnen wie der österreichischen Innenministerin oder dem ungarischen Premierminister besetzt, die wechselweise künstlich die realen und symbolischen Probleme verschärfen, in dem sie Grenzkontrollen einsetzen, Zelte aufbauen oder Asylverfahren stoppen und so eine fremdenfeindliche Stimmung vorantreiben.

Das strategische Problem ist meiner Meinung nach also in einem grundsätzlichen Übel zu finden: Die überholte Konstruktion des Nationalstaats. Dies spiegelt sich in Europa maßgeblich in zwei Facetten wieder:

1) Es gibt einen Mangel an Demokratie und demokratischer Legitimierung der EU und ihrer obersten Gremien: Das EU Parlament als einzig direkt gewähltes Gremium hat zwar über weite Strecken großartige PolitkerInnen, aber zuwenig Kompetenzen. Die nicht gewählte EU Kommission fungiert als Regierung ohne Kontrolle und ist in einem hohen Maße von der Wirtschafts- und Industrielobby gesteuert. Der europäische Rat ist schließlich durch seine föderale Konstruktion in Vertretung der Nationalregierungschefs nicht fähig, auf das Gesamte zu blicken. Um dies zu ändern braucht es einen neuen EU Vertrag – kein Honigschlecken, aber machbar. Eine sowohl reale als auch symbolische Entmachtung der Nationalstaaten muss daher Hand in Hand mit einer radikalen Aufwertung des EU Parlaments geschehen. Dieses muss wie es einer Demokratie gebührt als oberstes demokratisches Gremium die EU Kommission bestellen und mit umfangreichen Resourcen und Rechten ausgestattet auch kontrollieren. Gleichzeitig muss es eine gemeinsame Anstrengung geben, diesem neuen Europa auch eine neue Vision voranzustellen. was uns zur zweiten Facette des nationalstaatlichen Problems bringt:

2) Die zersplitterte Kompetenzaufteilung innerhalb der EU: Während auf EU Ebene die Spielregeln der Wirtschaft und der Finanzierungspolitik beschlossen werden, sind die Nationen weiterhin für alles gesellschaftspolitisch Relevante wie Soziales oder Kultur zuständig. Ein gemeinsamer Wirtschafts- und Währungsraum kann aber nur funktionieren, wenn es auch einen gemeinsamen Gesellschafts- und also Sozialraum gibt. Das mag angesichts der Unfähigkeit des österreichischen Systems, ein paar Zehntausend AsylwerberInnen zu versorgen und gerecht aufzuteilen, illusorisch klingen. Aber natürlich ist ein solches Projekt nicht von Heute auf Morgen zu stemmen, sondern muss über Jahrzehnte gedacht werden. Der erste EKGS Vertrag zur Bildung der Montanunion wurde 1951 mit einer Laufzeit von 50 Jahren abgeschlossen. Das tatsächliche Zusammenwachsen des europäischen Wirtschaftsraums, dass wir heute in Form einer Vielzahl von Verordnungen und Harmonisierungen beinahe wöchentlich erleben, ist eine direkte Folge dieses ersten EKGS Vertrags. Nichts hindert die europäischen Kräfte daran, mit ebensolchen Weitblick einen neuen EU Vertrag in Angriff zu nehmen. Dieser sollte schrittweise die gesamte Verantwortlichkeit auf europäischer Ebene bündeln und so für eine Europa zu sorgen, in dem nicht nur den Firmen, sondern auch allen Menschen die gleiche Rechte und Chancen zustehen.

Damit moderne linke Politik wirkmächtig wird, braucht es also nicht nur inhaltliche Konzepte, sondern auch Strategien für deren Umsetzung. In der gegenwärtigen Konstruktion Europas als Mischform von Nationen einerseits und einem demokratisch mangelhaften EU Apparat können sich linke inhaltliche Diskurse offensichtlich nur schwer durchsetzen. Daraus müssen wir den Schluss ziehen, dass die Zukunft linker Politik darin liegen muss, verstärkt auf internationaler Ebene Strukturen aufzubauen und die nationalen Strukturen schrittweise zu überwinden. Die Zukunft Europas liegt also in der Stärkung einer europäischen Idee des grenzenlosen, solidarischen Handelns.

Foto: urbanartcore.eu CC-by-nc-2.0

Foto: urbanartcore.eu CC-by-nc-2.0

(Über) die Bande

Aktuell findet in Wien der erste Spaziergang der österreichischen Pegida-Bewegung statt. Wen man Twitter und die Liveticker der Medien verfolgt, kann man schon vor Ende der Demo erste Schlüsse ziehen:

Was Pegida Österreich ist

Pegida Österreich ist keine Massenbewegung, sondern der harte Kern einer rechtsextremen, nazistischen Szene:

Pegida Oesterreich Hitlergruss via @JChristandl

Hitlergrüße, via @JChristandl

Deutschlandfahnen

Deutschlandfahnen, via @msulzbacher

Hitlergrüße, Deutschlandfahnen, „Heil Hitler“-Rufe, Sprechchöre wie „Wer nicht hüpft, der ist ein Jude“: Die TeilnehmerInnen von Pegida Österreich zeigen ihre Gesinnung bewusst offen und stolz vor hunderten PolizistInnen und dutzenden VertreterInnen der Presse. Wer heute an diesem Spaziergang teilnimmt, kann wohl mit Fug und Recht als rechtsextrem eingestuft werden.

Anders als in Dresden, wo je nach Schätzungen zwischen 5.000 und 15.000 Personen auf der Straße waren, sind es in Wien aber gerade mal 300-500. Doch warum ist das so? Dazu gibt es zwei plausible Antworten: Erstens konnte die deutsche Pegida lange Zeit mehr oder weniger unbeobachtet wachsen, es dauerte einige Zeit, bis sich zivilgesellschaftlicher Widerstand artikulierte und organisierte. Die österreichische Öffentlichkeit war aus Deutschland vorgewarnt, die linken politischen Kräfte haben von Anfang an offen dagegen mobilisiert und heute etwa 5.000 Menschen auf die Straße gebracht. Das dürfte doch manche der möglichen Sympathisanten davon abgeschreckt haben, heute mitzumarschieren. Die zweite Erklärung lautet, dass jene Positionen, die Pegida in Deutschland vertritt, in Österreich schon lange im politischen Mainstream eine Heimat haben – eine Heimat namens FPÖ.

Wie die FPÖ mit PEGIDA umgehen wird

Da sich Pegida Österreich zu einer Zeit gründete, als die Bewegung in Deutschland nach einem Medienhype an ihrem Höhepunkt angelangte, war die erste Reaktion eine wohlmeinende: „Wir würden Pegida in Österreich unterstützen!“ (30.12.14, Strache in der TT)

Während im Dezember noch alles gut zu laufen schien, ging die FPÖ nach den ersten Krisen von Pegida sofort auf Distanz: „Ich brauche keine PEGIDA (dazu)“ (9.1..15). Es gab keine offene Empfehlung der FPÖ zur Teilnahme an der heutigen Pegida-Demo, in Beiträgen auf Straches FB Seite und unzensuriert.at wurde lediglich in einem halbwegs neutralen Ton auf die Veranstaltung hingewiesen:

Strache Facebook

Nachdem der Plan eines gemäßigten, ersten Auftritts von Pegida Österreich wohl ordentlich schief gegangen ist, kann man davon ausgehen, dass sich Strache in den nächsten Tagen öffentlich von der neuen Bewegung distanzieren wird. Er wird dies aber wohl nicht tun, weil er inhaltlich anderer Meinung ist. Im Gegenteil ist sowohl die zugrunde liegende Geisteshaltung als auch die konkrete inhaltliche Ausrichtung von FPÖ und Pegida deckungsgleich. Er wird sich distanzieren, weil auch die Mehrheit der eigenen potentiellen WählerInnenschaft von einer so extremen Gruppierung wie Pegida Österreich eher abgeschreckt ist. Ohne den strukturellen Support der FPÖ ist die Bewegung aber auf lange Sicht zum scheitern verurteilt.

Die rechtsextreme Szene wird in Österreich strukturell von der FPÖ erhalten. Ohne deren monetären Zuwendungen, die im Endeffekt von öffentlichen Förderungen stammen und einem Netzwerk, in dem sich besonders viele Rechtsanwälte tummeln, die bei Bedarf Neonazis kostenfrei vertreten, wäre die rechtsextreme Szene in Österreich viel schwächer. Ohne diesen Support kann Pegida Österreich auf Dauer kaum überleben, angesichts der offenen nazistischen Positionierung wird sich die FPÖ eine offene Unterstützung kaum leisten wollen. Sie wird aber dennoch weiterhin insgeheim mit ihr sympathisieren und sie mit Aufmerksamkeit wie in obigem Posting oder Symbolen und versteckten Botschaften hofieren. Pegida ist damit als weiterer, verlängerter Arm einer rechtsextremen und vielschichtigen Bewegung zu sehen, die in Österreich mittlerweile für ein Viertel der Bevölkerung konsensfähig geworden ist. Ob Pegida doch ein Erfolg wird, oder nicht, ist zweitrangig: Über sie kann die österreichische Rechte ihre politische Agenda über eine weitere Bande spielen.

Wie Restösterreich mit PEGIDA umgehen wird

Ohne Verbündete in Politik und Medien wird Pegida nach den heutigen Vorfällen in den nächsten Tagen wohl keine Gnade in der öffentlichen Meinungsbildung erwarten können, wie es sie in Deutschland wohl aufgrund der Überrumpelung und dem Druck der AfD durchaus bis heute gibt. Die Medien werden Pegida Österreich das nennen, was sie ist – eine neonazistische Bewegung. Die FPÖ wird daher auf Distanz gehen. Und die anderen Parteien, allen voran ÖVP und SPÖ, werden froh sein, dass es ihnen Pegida Österreich leicht gemacht hat, auch auf Distanz zu gehen. Denn während in Deutschland die VertreterInnen durch die mediale Unterstützung als ernstzunehmende DiskursteilnehmerInnen von CDU und sogar SPD wahrgenommen wurden, sind sie das in Österreich offensichtlich nicht.

Die öffentliche Meinung wird wohl bald den Konsens finden, dass Pegida keinen Platz in Österreich hat. Was grundsätzlich zu begrüßen ist, wirft aber die Frage auf: Wenn sich die FPÖ auch selbst zuschreibt, dass es in Österreich keine Pegida braucht, weil es ja die FPÖ gibt, wenn man also davon ausgehen kann, dass die Geisteshaltung und die politische Ausrichtung großteils deckungsgleich ist – müsste man dann nicht die selbe Schlussfolgerung zu Pegida wie zum Akademikerball in der Hofburg ziehen? Nämlich dass der Protest gegen die tanzenden Burschenschafter von letzten Freitag die selbe Legitimation haben sollte wie der gegen den heute stattfindenden Spaziergang der Pegida.

Man kann aber davon ausgehen, dass sich jene Medien und Parteien, die den antifaschistischen Protest gegen den WKR Ball in den letzten Wochen kriminalisiert, skandalisiert und mit völlig falschen Maßstäben gemessen haben sich nun auf der richtigen Seite wähnend voll gegen Pegida stellen werden. Und damit eine für österreichische typische Doppelmoral erkennen lassen werden: Nazis im T-Shirt sind abzulehnen, Nazis im Nadelstreif sind ernstzunehmen.

Ein persönlicher Jahresrückblick auf 2014

Jahresrückblick sind wahrscheinlich schon abgedroschen. Da ich aber nicht immer die Zeit finde, meine diversen Tätigkeiten und Projekte auf diesem Blog zu dokumentieren, schreibe ich hier ein paar Zeilen zu den letzten Monaten. Sowohl, um diese für mich selbst zu ordnen, als auch um mich bei all den tollen, kreativen Menschen bedanken zu können, mit denen ich jeden Tag arbeiten darf.

Tabakfabrik Linz

Prägend für mich ist natürlich nach wie vor meine Arbeit in der Tabakfabrik Linz, der ich einen Großteil meiner täglichen Arbeitszeit widme. Dort zeichne ich mich seit mittlerweile drei Jahren leitend für die Kommunikation zuständig, habe an der allgemeinen Konzeption und Ausrichtung mitgewirkt und wickle Kooperationsprojekte ab. Im Mai haben wir beispielsweise eine wunderschöne neue Website online gestellt (www.tabakfabrik-linz.at), gestaltet von dem grandiosen Grafik Guru Michael Holzer und umgesetzt vom Code-Genie Bene Reiter. Die Inhalte kamen und kommen von der Jetsetliteratin Marianne Jungmaier und Nina Fuchs, die seit Jahresanfang auch die Pressearbeit professionell und gelungen abwickelt. Generell stehen wir konstant im Schnitt bei etwa 80-90 Presseberichten pro Monat und etwa 30-40.000 Views auf unserer Website und in den sozialen Medien, eine Reichweite, mit der ich glaube ich zufrieden sein kann. Darüber hinaus sind viele tolle Projekte und Kooperationen in der Fabrik entstanden, zuviele um alle aufzuzählen. Und das schöne ist, es bleibt spannend, denn wir haben erfreulicherweise im November grünes Licht vom Linzer Gemeinderat bekommen, dass wir den nächsten Entwicklungsschritt im Bau 1 umsetzen können. Yeah!

Burschitour

Zum zweiten Mal habe ich im Jänner einen Aktionstag zur Linzer Burschenschafterszene organisiert. Währen wir bei der ersten Burschitour noch zu Fuß unterwegs waren, haben wir diesmal einen großen Reisebus organisiert, mit dem wir nach einem spannenden Vortrag eines Rechtsextremismus-Experten ein paar der Linzer Buden besucht haben.

2. Linzer Burschitour 1

Übrigens: Die nächste Demo gegen den Linzer Burschenschaftsball findet am 10. Jänner 2015 statt – hingehen!

Stadtkulturbeirat Linz

Seit 2010 bin ich Mitglied des Linzer Stadtkulturbeirats, seit Beginn dieses Jahres auch dessen Vorsitzender. Der von der Stadt offiziell bestellte und ehrenamtliche Beirat besteht aus 24 Kunst- und KulturexpertInnen und tagt derzeit zweimal jährlich im Plenum. Die Arbeit besteht üblicherweise aus dem Verfassen von kulturpolitischen Empfehlungen an die Linzer Stadtpolitik, teilweise mischt er sich auch ins Tagesgeschäft ein, wie bei der heuer leider erfolgten Kürzung der Förderungen der freien Szene. Das nächste Empfehlungspapier wird übrigens im Februar präsentiert, ich werde es auch hier im Blog verlinken.

Bettellobby OÖ

Vor auch schon wieder vier Jahren war ich einer der Mitinitiatoren der Bettellobby OÖ, die sich in den politischen Diskurs rund um Armut, Migration und Verteilungsfragen einmischt. Anlass war damals die erste geplante Verschärfung der Bettelgesetzgebung, in denen „aggressives“, „aufdringliches“ und „organisiertes“ Betteln verboten werden sollten. Trotz eines durchaus breiten zivilgesellschaftlichen Protestes wurde die Gesetzgebung damals verschärft. Dass auch die sozialdemokratische Partei heuer im Mai nach einer heftigen Kampagne der Krone OÖ (diese hatte innert 9 Tage 8 hetzerische Aufmacher gegen BettlerInnen auf dem Cover und wurde dafür später auch vom Presserat gerügt) ihre bisherige Position fallen ließ und nun sogar selbst auf weitere Verschärfungen im Bettelgesetz drängte, war für mich und viele andere Linke ein Schock, der bis heute anhält. Durch die Novelle wurde schließlich trotz heftiger Protesten mit Stimmen der SPÖ, ÖVP und FPÖ das „gewerbliche“ Betteln in Oberösterreich untersagt. Durch die Schwammigkeit der Begrifflichkeiten all dieser Strafbestände steigt die Missbrauchsgefahr und leider auch -häufigkeit durch Stadtwache und Polizei weiter, viele Berichte von betroffenen BettlerInnen bestätigten die Befürchtungen der Bettelobby. Die jahrelange Aufbauarbeit der rechten Parteien in Kombination (oder Kooperation?) mit den medialen Hetzkampagnen des Boulevards hat ein Klima der Angst und Verunsicherung erzeugt, in dem es die Position, dass soziale Probleme wie Armut nur mit sozialen Lösungen behoben werden können, sich nur schwer Gehör verschaffen kann. Wie gesagt: Dass sogar die Sozial(!)demokratie nun die armen Menschen aus dem öffentlichen Raum verdrängen will, ist ein trauriges Zeichen für eine breit-entsolidarisierte Gesellschaft.

Verleihung-Menschenrechtspreis-2014-Bettellobby_Foto-Daniel-Weber-03-764x1024Umso erfreulicher, dass die Liga für Menschenrechte die österreichischen Bettellobbys heuer mit dem Menschenrechtspreis 2014 ausgezeichnet hat. Ich habe den Preis mit Christian Diabl (einer der großartigsten Menschen zum Diskutieren über Politik übrigens!) in Wien entgegengenommen, einen sehenswerten Bericht gibt es dazu in der ZIB2:

Cultural Broadcasting Archive

Heuer war ein spannendes Jahr für das CBA: Derzeit führen wir ein gefördertes EU-Projekt gemeinsam mit Radio Corax aus Deutschland, NearFM Media aus Irland und der Central European University durch, was viel Reisen und Austausch bedeutet. Und ausgetauscht wurde auch fleissig bei der zum zweiten Mal veranstalteten internationelen Konferenz Archivia, bei der viele spannende Vortragende aus ganz Europa teilnahmen. Weiters hat der VFRÖ, der Träger des CBA, heuer im Sommer Verträge mit den Verwertungsgesellschaften abschließen können, was nun heißt, dass auch Musik in den archivierten Beiträgen enthalten sein kann. Ein großer Erfolg für ein so kleines Projekt wie das CBA, da es im Gegensatz zum analogen Rundfunk im digitalen Raum keine Lizenzpflicht der Verwertungsgesellschaften gibt. Wir haben im Übrigen etwa fünf Jahre auf diesen Punkt hingearbeitet und einiges an Lobbying leisten müssen. Und hier liegt auch noch einiges an Arbeit vor uns, denn noch immer ist das UrheberInnenrechtssystem groso Modo nicht den Erfordernissen der modernen Zeit angepasst. Allerdings wird es in Zukunft wohl noch stärker als bisher um die Vernetzung auf europäischer Ebene gehen – es bleibt also spannend.

Achja, und an dieser Stelle ein großer Dank an Ingo Leindecker, mit dem ich seit 2007 an diesem großartigen Projekt arbeiten darf (und der übrigens ein ziemlich tolles Werk produziert hat, das ihr euch kaufen solltet!)

Kulturpolitisches

Abgesehen von meiner Arbeit für den SKB habe ich noch Beiträge für die KUPF Zeitung geschrieben (ein Text zu Linz09 und ein Interview mit Kulturmanager Ulrich Fuchs), einen Text des Linzer Kulturdirektors Julius Stieber veröffentlicht, an Kultur-Diskussionen beispielsweise in St. Pölten teilgenommen  oder eine Tour durch die freie Szene mit dem neuen Kulturreferenten Bernhard Baier Baier organisiert. Aja, und ich darf im Verwaltungsausschuss von Radio FRO meinen Senf zu den zukünftigen Wegen des freien Radios dazugeben, eine ehrenvolle und spannende Arbeit mit lauter hochmotivierten Menschen, die sich für dieses wichtige alternative Medienprojekt ins Zeug hauen. Weiters habe ich auch das Projekt Intermezzo von MAIZ begleiten dürfen – da ich euch und ihnen noch immer einen Abschlusstext dazu schuldig bin, verweise ich wegen Details auf diesen. Kommt bald, versprochen!

Schließlich …

… gilt mein Dank den vielen freundlichen, offenen, kreativen, hilfsbereiten Menschen in meinem Umfeld und Netzwerken, mit denen ich zusammen lebe, arbeite, streite, feiere, trauere und diskutiere. Und natürlich geht ein besonderer Fistbump an eine Person im Speziellen, deren scharfsinnigen Geist ich nicht mehr missen möchte  – du weißt, wen ich meine.

Also, ich hoffe, wir bleiben uns auch 2015 erhalten!

Und jetzt, Herr Fuchs?

Vor drei Wochen habe ich den ehemaligen stellvertretenden Intendanten der europäischen Kulturhauptstadt Linz09 getroffen, den Kulturmanager Ulrich Fuchs. Die KUPF Oberösterreich hat mich gebeten, mich mit ihm für die aktuelle Ausgabe der KUPF Zeitung über die oberösterreichische Kulturlandschaft zu unterhalten. Es war ein, wie ich meine, recht interessantes und anregendes Gespräch. Weiter unten finden sie gekürzte und komprimierte Textversion der KUPF Zeitung, das Gespräch ist in voller Länge auch im CBA zu hören:

D: Im Verhältnis zwischen Land OÖ und Stadt Linz hatte man in den letzten Jahren den Eindruck, dass es zwischen den Beiden eher um einen Wettbewerb als um Kooperation geht.

F: Wenn ich an den Ausgangspunkt zurückgehe, als Martin Heller und ich 2005 nach Linz kamen, haben wir nach relativ kurzer Zeit begriffen, dass es einen politischen Wettbewerb gibt zwischen Stadt und Land auf vielen Feldern, auch in der Kulturpolitik. Ich finde überhaupt, dass Österreich durch die Konkurrenz von Rot-Schwarz geprägt ist, weitaus mehr als ich das aus Deutschland kannte. Das sage ich jetzt nicht belehrend, es ist einfach eine Feststellung. Was ich in Österreich gelernt habe, war, dass es einen roten und einen schwarzen Kindergarten gibt, das gibt es in Deutschland nicht. Die sozialdemokratischen Kulturpolitiker und ihre schwarzen Pendants haben ein anderes Verhältnis, also ein konkurrenzhafteres und abgrenzenderes. Für einen Kulturkonsumenten ist es aber beispielsweise völlig egal, ob das Brucknerhaus von der Stadt oder vom Land betrieben wird.

Da die Kulturhauptstadt aber ein Auftrag war, der von den drei Gebietskörperschaften (Bund, Land und Stadt) erteilt wurde, war für uns ziemlich schnell klar, falls es da Gegensätze gibt, dass man die schnell überwinden muss. Ich glaube, es ist uns dann auch über den Aufsichtsrat und über die Zusammenarbeit von beiden Seiten gelungen, dass da gewisse Grenzen aufgeweicht wurden.

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D: Stichwort Brucknerhaus und Musikthteater: Gibt es aus einer kulturpolitischen Perspektive einen Bedarf für zwei solche Häuser mit relativ ähnlichem Publikum?

Es war schon von vornherein klar, dass es mit dem Musiktheater nicht einfach sein würde, den richtigen Umgang in Bezug auf das Brucknerhaus zu finden. Die optimale Kooperation zwischen beiden Häusern scheint mir auch bis heute noch nicht gefunden. Das Brucknerfest gleichzeitig mit dem Auftakt zur Spielzeiteröffnung des Musiktheaters und des Landestheaters – das ist eine ungute Konkurrenz.

Man muss bei der Größe beider Einrichtungen sicherlich über die Einwohnerzahl von Linz hinaus denken. Um nur das hiesige Publikum zu bedienen, wären zwei solche großen „Schlachtschiffe“ sicherlich überfordert. Der Einzugskreis muss nach meiner Einschätzung weit über Linz hinausgehen, auch weit über das Bundesland hinaus. Ob das bisher gelungen ist, weiß ich nicht. Linz ist eine untypische Stadt, wenn man an europäische Kultur denkt, so wenig mit dieser bildungsbürgerlichen Tradition behaftet. Für das Brucknerhaus und das Musiktheater müsste das meiner Meinung nach heißen, Formate und auch eine ästhetische Linie zu finden, die so besonders sind, dass man sagt, das bekomme ich in Salzburg nicht, sondern nur in Linz.

Als positives Beispiel möchte ich die Museen in Linz anführen, die sehr gut über die „Grenzen“ von Stadt und Land hinweg zusammenzuarbeiten. Ich glaube auch, dass bei der freien Szene ein Stadt-Land Denken nicht so ausgeprägt ist.
D: Der zweite große kulturpolitische Schwerpunkt des Landes ist neben dem Musiktheater das Landesmusikschulwerk. Ist das deiner Meinung nach eine sinnvolle Investition?

F: Dieses Landesmusikschulwerk ist etwas absolut Einzigartiges in Europa. Ruhr 2010 hat mit dem Slogan geworben: „Jedem Kind ein Instrument“. Da hab ich damals zu den Kollegen in Essen gesagt, dass das in OÖ längst der Fall ist. Vergleichsweise in Europa ist das ein einzigartiger Schatz an frühkindlicher und früh-musikalischer Erziehung, der da aufgebaut wurde. Ich weiß, dass das Landesmusikschulwerk 40 Prozent des Budgets des Landes für Kultur beansprucht. Meiner Ansicht wird das konservativ regierte Land OÖ der sozialdemokratischen Idee von „Kultur für alle“ damit mehr als gerecht – und das auf einem sehr hohen Niveau.

In den Verteilungskämpfen um ein Kulturbudget kann ich nachvollziehen, wenn diejenigen, die nicht aus dem Bereich der musikalischen Pädagogik kommen, sagen, dass ihnen eine andere Verteilung lieber wäre. Aber das ist eine politische Auseinandersetzung um Prioritätensetzungen.

D: In einem Interview zum neuen Kulturentwicklungsplan (KEP) assoziierst du mit Linz „ungenügende politische Konsequenzen“, kannst du das ausführen?

F: Gerade in diesen Tagen sehe ich diese Einschätzung bestätigt. Es ist nicht die Kulturpolitik, die die Frage stellt, wo man nach Linz09 steht, sondern der Tourismus. Und dass der Tourismusverband Linz das Erbe von Linz09 am kreativsten verwaltet, deutet darauf hin, dass die Linzer Kulturpolitik mit dem Erbe von Linz09 nicht genügend offensiv, nicht genügend nach außen tretend umgeht. Aber um es auch klar zu sagen: für Erfolge und Fehlleistungen von Linz09 sind wir alle verantwortlich – die Intendanz, das Linz09-Team und die Linzer Politik.

D: Das nächste große Projekt nach Linz09 war der neue Kulturentwicklungsplan.

F: Ich habe großen Respekt davor, wie sich die Linzer Kulturdirektion und die Kulturszene diesem wirklich schwierigen und partizipativen Prozess gestellt hat. Dass dabei ein so qualitativer Text herausgekommen ist, finde ich beeindruckend. Angesichts der knappen Mittel und der Finanznot in welche die Stadt zum Glück nicht durch Linz09, sondern durch andere Entwicklungen hineingerutscht ist, ist das wirklich hervorragend. Ob es nicht nur ein Plan bleibt, sondern auch umgesetzt wird, das steht auf einem anderen Blatt. Aber dafür seid ihr als Kulturakteure verantwortlich, den entsprechenden Druck aufzubauen.

D: Im Ruhrgebiet wurde mit Urbane Künste Ruhr gewährleistet, dass es nach dem Kulturhauptstadtjahr weitergeht. Genau das ist in Linz aus verschiedenen Gründen nicht in der Intensität passiert, 2010 waren spürbar weniger Ressourcen da.

F: Obwohl wir ja von Linz09 her noch einen beachtlichen Überschuss hatten. 1,3 Millionen, die dann auch sinnvoll verwendet worden sind. An dem Kulturhauptstadtprojekt lag es bestimmt nicht, dass ab dem Jahr 2010 die Spielräume enger wurden, eigentlich im Gegenteil. Im Nachhinein sehe ich es als Fehler, dass die Linz09 GmbH abgewickelt und nicht umgewandelt worden ist, mit völlig anderen Personen an der Spitze und einem neuen Auftrag. Beispielsweise die Entwicklung der Tabakfabrik als Fortsetzung und neue Etappe von Linz09. Mit einer solchen Entscheidung hätte Linz auch international die Nachhaltigkeit der Kulturhauptstadt verdeutlicht,

D: Stichwort nächste Etappe: Du hast 2011 das nach Linz09 zu festigende Bindeglied zwischen Wirtschaft und Kultur in Linz angesprochen, mittlerweile gibt es dafür die Creative Region Linz & Upper Austria.

F: Ich glaube, dass es sinnvoll ist, dass zwischen Kultur und Wirtschaft Verständigungen gesucht werden, die außerhalb des engen (partei-)politischen Feldes liegen. Viele Kulturakteure der freien Szene sind eigentlich auch Unternehmer, Entrepreneurs, die ihre Aktivitäten als Kleinunternehmen betreiben. Manche Kultureinrichtungen sind verselbstständigt und sind unterwegs als GmbH oder in anderen Formen, jedenfalls nicht mehr als nachgeordnete Dienststellen des Landes oder der Stadt. Insofern passt das ganz gut, sich da mit Leuten aus der sogenannten freien Wirtschaft zusammenzuschließen oder Synergien zu suchen.

D: Du hast besonders im Bereich Design und Architektur in Linz Potentiale gesehen, mittlerweile hat sich Linz bei Open Design einen Namen gemacht. Generell scheinen die „Open Everything“ Initiativen ein großer Schwerpunkt von Linz zu werden. Siehst du darin das Potential für jene Internationalität, die ihr von der Szene immer eingefordert habt?

F: Absolut. Das ist genau das, wo Linz sich profilieren muss. Bevor Salzburg überhaupt wusste was „Open Source“ ist, war Linz an dem Thema schon dran. Das ist eine Stärke der hiesigen Szene, sowohl im freien Bereich als auch in den Institutionen wie Lentos, Ars Electronica und Offenes Kulturhaus, gibt es dafür Offenheit und Innovationsgeist.

Ich glaube, dass sich Linz international aktiver zeigen und deutlicher machen sollte, dass es im Open Bereich noch mehr Qualitäten bietet. Vielleicht entsteht in der Tabakfabrik dafür eine Art Brutstätte, dann würde Linz eine noch viel größere Rolle spielen können.

D: Vielleicht in Verbindung mit der Bewerbung zur UNESCO City of Media Arts?

F: Der ich viel Erfolg wünsche und hoffe, dass es klappt. Aber das muss man dann auch nutzen und fördern. Ich hab die Aussage bei der Tourismuskonferenz am 6. November 2014 , dass Linz sich 2024 erneut als Kulturhauptstadt bewerben kann, nur bedingt ernstgemeint. Was ich damit sagen wollte, ist, dass sich Linz solchen Herausforderungen stellen sollte. Das kann auch ein ganz anderes Format haben, aber die Tendenz zum Stillstand ist das Gefährliche. Wenn man sich die aktuellen Kulturhauptstadtbewerbungen in anderen Ländern ansieht, dann sind das hoch ambitionierte Projektentwürfe mit einem sehr starken commitment von Seiten der politisch Verantwortlichen. Eine Bewerbung wie sie seinerzeit für Linz09 entwickelt wurde, würde heute nicht mehr reichen.

D: Abschließend noch eine medienpolitische Frage: Der Wiener Falter hat in der Zeit vor Linz09 überlegt, eine Oberösterreich Ausgabe zu gründen. Kannst du erzählen, warum das nicht passiert ist?

Wie das in der österreichischen Medienlandschaft so ist, hätte das nicht ohne einen kräftigen Anschub der öffentlichen Hand geklappt. Nach meinem Kenntnisstand ist es daran gescheitert, dass die öffentliche Hand sich nicht dazu in der Lage sah, eine Anschubfinanzierung zu leisten, wir von Linz09 waren daran jedenfalls nicht beteiligt.

Ein Wort noch zur Linzer Medienlandschaft. Ich hüte mich vor einer pauschalen Aussage, das wäre auch unfair gegenüber den Medien wie zum Beispiel der Kronenzeitung, die Linz09 kritisch, aber fair begleitet haben. Aber es war schon eine unvergleichbar negativ destruktive Kampagne gegen Linz09, wie sie von den OÖN geführt wurde. Der Chefredakteur wollte offenbar partout nicht, dass Linz09 ein Erfolg wird und vertritt diese Haltung bis heute. Das hat es in keiner Kulturhauptstadt gegeben, dass eine Zeitung bis in das Kulturhauptstadtjahr hinein alles Mögliche unternommen hat, um das Projekt schlecht zu machen.

D: Wenn man die Medienlandschaft als Ganzes betrachtet, fehlt ein eher liberaleres, vielleicht linksorientiertes Medium?

F: Absolut, sicher. Ich lebe jetzt zehn Jahren nicht mehr in Deutschland und bin auch kein Nationalist. Aber wenn ich von außen auf Deutschland schaue, bin ich auf zwei Dinge besonders stolz. Einmal die Medienlandschaft in ihrer Vielfalt, sowohl im Zeitungswesen als auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen. Das gibt es in keinem Land Europas so qualitätsvoll. Das zweite ist das System des Föderalismus. Frankreich und Österreich sind zwei Länder, die sich mit ihren Hauptstädten so herausgebildet haben, dass sich die anderen Städte des Landes ständig in einer Defensivhaltung befinden. In Deutschland ist Berlin zwar die politische, aber weder die Medienhauptstadt noch die Finanz-, Kultur- oder Fussballhauptstadt. Es gibt keine Machtkonzentration an einer Stelle, sondern einen föderalen Ausgleich mehrerer Zentren, die untereinander auch konkurrieren. Dadurch ergibt sich eine Vielfalt, auch in den Medien. In Österreich und in Frankreich hat man den Eindruck, dass die Vielfalt der Medien doch sehr eingeschränkt ist, dass Berichtserstattung nicht nur redaktionell erfolgt, sondern durch finanzielle Deals. Je weiter man in die Provinz geht, desto dramatischer ist der Qualitätsverfall. Das ist etwas, woran Österreich leidet und speziell in Oberösterreich ist das ein lamentabler Zustand.

KUPFzeitung152_2014_interviewfuchskomplett

Linz09 – Bilanz ziehen?

Der folgende Beitrag wurde in der heute erschienen KUPFZeitung 151 veröffentlicht:

Ziehen tut man nicht nur den Strudelteig, sondern auch Bilanzen. Für den perfekten Apfelstrudel gibt es wahrscheinlich eben- so viele Techniken wie Köch*innen. Ähnlich verhält es sich beim Ziehen von Bilanzen. Während in der Küche aber das Ziel, der gelungene Strudel, bei allen das selbe ist, entscheidet beim Bilanzieren die eigene Position über das Endergebnis. Ein Backversuch:

Kupfzeitung-151-screenIn der 2010 erschienen Broschüre «Eine Bilanz – Linz 2009» nannte Intendant Martin Heller Linz09 ein sich lohnendes Wagnis, während sich Altbürgermeister Dobusch und Ex-Kulturministerin Schmied über die gelungene Präsentation als moderne, offene und lebendige Kulturstadt freuten. Landeshauptmann Josef Pühringer wiederum war sichtbar stolz auf die vielen neuen Kulturbauten und Parteikollege Erich Watzl, vormals Kulturstadtrat, dankte besonders der Wirtschaft, Hotellerie und Gastronomie für ihren Beitrag, den Künstler*innen und Kulturschaffenden im Übrigen nicht.

Wer heute die offizielle Homepage besucht, kann folgendes lesen: «Die BesucherInnen sind diejenigen, die über den Erfolg eines Kulturhauptstadtjahres entschieden haben» und «Linz09 kann auch als touristische Erfolgsgeschichte gesehen werden: […] Linz konnte ein Nächtigungsplus von 9,5 % verzeichnen.» In Kürze wird anlässlich des fünfjährigen Jubiläums erneut Bilanz zum Europäischen Kulturhauptstadtjahr gezogen, diesmal vom Tourismusverband Linz[1]. Ziel der Veranstaltung liegt laut Einladungstext in der Darstellung der Zusammenarbeit zwischen Kultur und Tourismus und in «kritischer Reflexion». Damit derlei Selbstkritik aber im richtigen Rahmen bleibt, wird zur Sicherheit klargestellt, dass Linz09 hinsichtlich Programm, Durchführung und Nachhaltigkeit nun das best practice Beispiel in Europa sei.

Analysiert man diese verschiedenen Bilanzen, ist es ein Leichtes, auf die Erwartungshaltungen an das Kulturhaupstadtjahr im Speziellen und auf die dahinterstehenden kulturpolitischen Vorstellungen im Allgemeinen zu schließen. Jede dieser Bilanzen ist ohne große Mühe als Abbild und Produkt des jeweiligen politischen Umfelds oder der jeweiligen politischen und organisatorischen Funktion(-en) zu interpretieren. Darauf möchte ich im Detail aber nun verzichten und lieber versuchen, eine allgemeinere These herauszuarbeiten:

Umwegargumentationen

Aus den angeführten Bilanzen lässt sich nämlich viel über den Rechtfertigungsdruck von Kunst und Kultur im Allgemeinen sagen. Gerade bei einem so großen, mit 60 Millionen Euro durch die öffentliche Hand subventionierten Prestigeprojekt wie Linz09. Förderungen solcher Dimensionen werden in Bereichen wie der Wirtschaft ohne viel Aufhebens im Wochentakt vergeben. Geht es um die Förderung von Kunst und Kultur, gar zeitgenössischer, werden aber ganz andere Register gezogen. Wo es im Wirtschaftsbereich oft reicht, die geschaffenen Arbeitsplätze zu quantifizieren, da sollte die Kunst zumindest gleichzeitig das internationale Image verbessern, die lokale Wirtschaft stärken, einen Beitrag zur Demokratisierung leisten und dann bitte auch noch unterhalten und zum Denken anregen. Am besten natürlich alles gleichzeitig.

Je größer die Förderung, desto eher wird diese Beweisführung der Kulturnützlichkeit auch öffentlich verteidigt: Bei Förder-Ankündigungen, Eröffnungsreden, in aufwendigen Broschüren oder eben in dicken Bilanzbüchern, die vermutlich dann doch allesamt niemand liest. Und wenn das alles nichts hilft, wird eine Umwegrentabilitätsstudie in Auftrag gegeben. In Oberösterreich wurde beispielsweise berechnet, dass alleine der Bau des Musiktheaters um damals prognostizierte 143 Millionen einen regionalen BIP Effekt von 194 Millionen Euro erzeugt.[2] Ähnliche euphorische Studien wurden auch für das Kulturhauptstadtjahr durchgeführt.

So mutet das offizielle, politische und mediale Bilanzieren oft als Rechtfertigung der getätigten monetären Investition vor der Bevölkerung an. Inhaltliche Aspekte werden dabei selten genannt. Noch seltener wird die Ausübung der Kultur um der Kultur, bzw. der Kunst um der Kunst willen ins Spiel gebracht. Kurz: In der Kulturpolitik wird zunehmend um den heißen Brei herumgeredet.

Kulturpolitik-Kritik-Krise

Vor kurzem las ich in einer Tageszeitung, dass Kunst und Kultur nur in der medialen Rezeption und Kritik ihre Wirkung entfalten können. Da diese durch den Medienwandel allerdings im Rückzug begriffen ist, entstehe laut Autor eine große gesellschaftliche Gefahr. Ich lehne diese These als unscharf ab, da hier die mediale mit der allgemeinen Öffentlichkeit verwechselt wird. Noch nie zuvor gab es so viele Foren der Kulturkritik wie heute. Jedes online zu konsumierende Stück Kunst wie Musik oder Film wird kommentiert, bewertet, geteilt und damit einer unmittelbaren und andauernden Kritik unterworfen. Ich glaube, der Artikel war eher als Unbehagen darüber zu lesen, dass den Medien die Deutungshoheit über die Wertigkeit von Kunst und Kultur abhanden gekommen ist.

Wo ich die These in Bezug auf Kultur selbst ablehne, so möchte ich diese These aber auf die Kulturpolitik an sich übertragen. Die Kritik der Kulturpolitik wird in der medialen Öffentlichkeit oft nur noch dann zum Thema, wenn finanzielle oder betriebswirtschaftliche Probleme oder gar ein BesucherInnenschwund publik werden. Die Einschätzung, ob Betriebe und Organisationen inhaltlich auf der Höhe der Zeit sind, trauen sich nur noch wenige Personen und noch weniger Journalist*innen vorzunehmen. Es ist grotesk: Noch nie in der Geschichte dieses Staates wurde so viel öffentliches Geld für Kunst und Kultur ausgegeben. Gleichzeitig gab es noch nie so wenig Diskussion darüber, welche Ziele man damit verfolgt.

Kulturpolitik ist zu einem absoluten Nischenthema geworden, geführt von wenigen Expert*innen und Medien. Es ist in fast allen Parteien schwer geworden, Politiker*innen zu finden, die sich sachlich intensiv mit Kulturpolitik auseinandersetzen. Und für diese wenigen Hartnäckigen ist es wiederum noch schwerer geworden, medial Gehör zu finden.

Leitbild-Leiden

Das ist schade, denn ein scharfer Blick und ein offen geführter Diskurs sind sowohl im institutionellen als auch im freien Bereich überfällig. In den letzten Jahren haben viele Kommunen und Bundesländer eigene Kulturentwicklungsziele und -pläne definiert, welche oft von erstaunlich hoher Qualität sind. Sie stellen hervorragende Werkzeuge dar, um die Öde der quantitativen Argumente zu verlassen und die kulturpolitischen Entscheidungen an qualitativen Kriterien zu messen und zu diskutieren. Bloß werden sie nur viel zu selten als solche verwendet. Es gibt viele Gründe im Linzer Kulturentwicklungsplan zu finden, um die Förderung des Kronefests sofort einzustellen. Es wäre spannend, viele der verstaubten und verschlossenen oberösterreichischen Landesinstitutionen auf die im Kulturleitbild definierten Kriterien der Beteiligung von sozialen Randgruppen zu überprüfen. Ebenso lassen sich bei den Förderungen des Bundes ohne großen Aufwand Diskrepanzen zwischen den kulturpolitischen Vorgaben und der realpolitischen Umsetzung und der Verteilung der Ressourcen nachweisen. Und auch viele freie Initiativen täten ein Gutes daran, ihre eigenen Leitbilder auf den Prüfstand zu stellen und sich zu fragen, ob ihre Strukturen und Ziele nach 35 Jahren noch zeitgemäß sind. Am Besten in einem offenen und partizipativen Diskurs.

Die Kulturpolitik und ihre politischen, medialen und auch verwaltenden Proponent*innen sollten also den Mut aufbringen, sich nicht nur hinter ökonomischen und quantitativen Argumenten zu verstecken. Diese sind nicht per se falsch, unwahr oder unwichtig. Aber es besteht die Gefahr, dass wir als Gesellschaft durch diese argumentative Schieflage aus den Augen verlieren, warum wir Kunst und Kultur einen so hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft einräumen. Dieser wird in den Sonntagsreden oft gut und ausführlich begründet.

Es gibt also auf politischer und medialer Ebene durchaus ein Bewusstsein für die der Kultur und Kunst inhärenten Qualitäten. Wir sollten dafür sorgen, dass sich diese wieder stärker im medial- politischen Alltag widerspiegeln und daraus kulturpolitische Konsequenzen gezogen werden. In dem Sinne lasse ich meinen Meinungsteig nun rasten und bereite schon mal fünf Kerzchen für das Geburtstagskind Linz09 vor. Heuer darf es sich nochmal sorglos feiern. Aber nächstes Jahr wird unerbittlich Bilanz gezogen. Denn wie hieß es zu Beginn im Mission Statement so schön? «Linz 2009 ist auch Linz 2015, und daran wollen wir gemessen werden.» Alles klar?

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[1] Veranstaltung am 6. November, Schlossmuseum Linz
[2] Schneider / Dreer: „Volkswirtschaftliche Analyse des neuen Musiktheaters in Linz“, 2006, → land-oberoesterreich.gv.at/cps/rde/xchg/ ooe/hs.xsl/48803_DEU_HTML.htm