Dieser Text wurde erstmals am 26.10.15 in der Onlineausgabe von Vice als Gastbeitrag veröffentlicht.
Betrachtet man die oberösterreichischen Wahlergebnisse der Zweiten Republik, so war die letzte Wahl eine Wahl der Rekorde. Die beiden ehemaligen Volksparteien ÖVP und SPÖ stellten ihren Negativrekord, FPÖ und Grüne ihr Allzeithoch ein. Die angeschlagene ÖVP ließ ihren bisherigen Juniorpartner gehen und holte die im Wahlkampf noch offensiv attackierten Freiheitlichen an den Verhandlungstisch.
Knapp vier Wochen später lautet die Devise nun, mit „Mut und Entschlossenheit Oberösterreich weiter entwickeln“. So steht es jedenfalls auf dem Deckblatt des 95.000 Zeichen schweren Arbeitsübereinkommens zwischen ÖVP und FPÖ. Arbeitsübereinkommen und nicht Koalition deshalb, weil beide Parteien betonen, dass sie sich nicht selbst in Fesseln legen wollen.
Das ist ein erster von vielen Hinweisen darauf, dass dieses schwarz-blaue Bündnis nicht nur Business-as-usual ist. Der alte und neue Landeshauptmann Pühringer hat ein weiteres Mal bewiesen, dass ihm eine gewisse Flexibilität im machtpolitischen Spiel innewohnt. Schon die erste schwarz-grüne Koalition 2003 erregte einiges an Aufmerksamkeit, als Pühringer statt der zweitplatzierten SPÖ die Grünen in eine Koalition holte.
Dies ermöglichte den Grünen ihre erste Beteiligung an einer Landesregierung und damit die Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, dass auch sie regieren und gestalten können. Bundesweit hat es sich für sie ausgezahlt—Rot-Grün in Wien und die Beteiligungen in Tirol und Kärnten waren so einfacher zu haben. Für die SPÖ wiederum bedeutete der Koalitionsausschluss, trotz einer weiteren Beteiligung in der Proporz-Regierung, einen Macht- und Bedeutungsverlust, der bis heute nachwirkt.
Also, was bedeutet Schwarz-Blau für Oberösterreich? Wird es ähnlich ausgehen wie damals, im Jahr 2000, als Bundeskanzler Schüssel die Blauen in die Bundesregierung holte, um sie zu entzaubern? Ein Zaubertrick, dessen Details noch heute viele Richter und Staatsanwälte beschäftigt. Wird es wöchentliche Gegendemos geben und zur Politisierung einer ganzen Generation, der übrigens auch ich angehöre, führen?
Nein, davon ist diesmal nicht auszugehen. Einerseits, weil die Wirkmöglichkeiten auf Landesebene geringer ausfallen als auf Bundesebene. Auch wenn das Fallbeispiel von Haiders Kärnten eine andere Sicht nahelegen würde, so ist hier die FPÖ (noch) in der Juniorrolle und steht dabei einer ÖVP gegenüber, deren Machtapparat bis in die letzte der 442 Gemeinden reicht. Andererseits, weil die strategische Ausrichtung von Haimbuchners FPÖ eine andere als zu Haiders Zeiten ist. Während das vorrangige Ziel der beiden FPÖ-Bundeskoalitionen war, durch Machtgewinn sich selbst die Taschen zu füllen, so wird die oberösterreichische FPÖ von einer klaren, ideologischen Doktrin angetrieben.
Und genau das ist es, was diese blaue Regierungsbeteiligung gefährlich macht. Liest man das Arbeitsübereinkommen, so kommt man über weite Strecken zum Schluss, dass viele Punkte auch in Regierungskonstellationen mit anderen Parteien stehen könnten.
Die ÖVP hat die ihr wichtigen Vorhaben untergebracht. Ein starker Fokus liegt auf wirtschaftspolitischen Vorhaben, die schon vor Jahren formuliert wurden und wahrscheinlich von allen Parteien im Landtag mitgetragen werden. Auch der Ausbau des oberösterreichischen Studienangebots in Richtung einer echten Volluniversität gilt als Konsens zwischen allen Parteien. Dass ein großes Augenmerk auf Forschung, und hier auf Themen wie Industrie 4.0, gesetzt wird, ist auch wenig überraschend und wird außer Streit stehen.
Wirklich bedrückend wird es aber, wenn man das Kapitel „Migration, Asyl und Integration“ aufschlägt. Der Zuzug von Menschen wird ausschließlich als Bedrohung wahrgenommen und so behandelt. Aus jedem Satz lässt sich die Angst vor den Fremden herauslesen, gegen die gleichzeitig auch Abwehrmechanismen aufgebaut werden.
Dabei versteigt sich das Koalitionsübereinkommen auch so weit, von einer christlich-abendländischen Werteordnung zu sprechen, die ein demokratisches und rechtsstaatliches Prinzip unserer Verfassung darstellen soll. Dass davon kein Wort in der Bundes- oder der Landesverfassung steht, sondern im Gegenteil dort die Religionsfreiheit als elementarer Bestandteil unserer Gesellschaft festgehalten ist, tut der blauen Überlegenheitsfantasie anscheinend keinen Abbruch.
Es hat darüber hinaus eine gewisse Ironie, wenn man in der nächsten Zeile unter Berufung auf eben diese Werte anmerkt, dass „intolerantes Verhalten gegenüber der Gleichstellung von Mann und Frau“ inakzeptabel sei—vor allem, wo die neue schwarz-blaue Landesregierung bekanntlich aus neun Männern besteht und den Frauen nur ein Nachrückrecht eingeräumt wurde.
Wenn man in der Vergangenheit rückständige Integrationskonzepte kritisieren musste, verwendete man gern die Feststellung, dass Integration keine Einbahnstraße sei. Selten aber wurde genau das offener kommuniziert: „Das Ziel muss sein, dass sich Migranten auch im Sinne einer Bringschuld in die Gesellschaft integrieren und es nicht zu Ghettobildungen kommt.“
Kein Wort zu den Verpflichtungen der Mehrheitsgesellschaft. Kein Wort zu den stetig steigenden rechtsextremen Übergriffen und der besorgniserregenden Zunahme an Alltagsrassismus. Wer sich nicht im Sinne von Schwarz-Blau integriert, dem wird gedroht: mit dem Wegfall von Sozialleistungen, mit Asyl auf Zeit, mit dem Abschieben bei Arbeitslosigkeit bei Rot-Weiß-Card Besitzern.
Der Gipfel der Absurdität ist eine Deutschsprach-Pflicht, die in den Hausordnungen aller Bildungseinrichtungen verankert werden soll: „Somit kann sichergestellt werden, dass nicht nur während des Unterrichts, sondern auch in den Pausen und auf dem gesamten Schulareal deutsch gesprochen wird.“ Was passiert, wenn nicht Deutsch gesprochen wird, und ob damit in Zukunft auch keine Fremdsprachen mehr in Oberösterreich unterrichtet werden sollen, lässt das Papier aber offen.
In der Zwischenzeit hat das Bildungsministerium übrigens in einer Stellungnahme festgestellt, „dass das Festlegen von Deutsch als einziger außerhalb des Unterrichts in der Schule zulässiger Sprache beziehungsweise das Verbot einer bestimmten oder mehrerer Sprachen im Rahmen von Hausordnungen oder Verhaltensvereinbarungen jedenfalls im Widerspruch zur Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Artikel 8 der Europäische Menschenrechtskonvention und zu Artikel 1 des Bundesverfassungsgesetz über die Rechte des Kindes steht und daher unzulässig ist.“
Das zweite brisante Kapitel bildet der Themenkomplex Sicherheit. Brisant insofern, weil das Ressort in Zukunft bei FPÖ-Landesrat Elmar Podgorschek liegen wird. Dieser ist Mitglied der schlagenden Burschenschaft AcSV Germania—ein strammer Rechter, der Beziehungen zu verurteilen Neonazis wie Gottfried Küssel pflegt. Auch hier wird im Text wieder von substanziellen Gefährdungen der BürgerInnen fabuliert, die vermeintlich besonders durch Gewaltverbrechen und Suchtgift-Kriminalität bedroht sind. Die Lösung soll flächendeckende Videoüberwachung im öffentlichen Raum sein, besonders in öffentlichen Verkehrsmitteln. London lässt grüßen.
Noch dramatischer ist, dass der Punkt „Armutsmigration“ in diesem Kapitel zu finden ist. Soziale Fragen wie jene der Armut, die Menschen dazu zwingt, zu betteln, können nicht durch sicherheitspolitische Ansätze gelöst werden. Eine solche Politik führt nur zur Verschärfung der Lage der Betroffenen—zu räumlichen Verdrängungseffekten und auf jeden Fall nicht zur Lösung des Problems. Im Gegenteil soll in Oberösterreich eine konsequente Vollziehung der bestehenden Bettelverbote exekutiert werden, die von Initiativen wie der Bettellobby OÖ (Disclaimer: der Autor ist Teil von dieser) massiv kritisiert werden.
Der dritte bedenkliche Teil betrifft das Kapitel Umweltschutz. Schon kurz nach der Wahl ließ der oberösterreichische FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner aufhorchen, als er eine Rücknahme der Naturschutzmaßnahmen forderte, die Schwarz-Grün in den Jahren zuvor beschlossen haben. Als einen Tag später sowohl die Industriellenvereinigung als auch der Wirtschaftsbundvertreter Strugl sich öffentlich für das Hereinholen der Blauen in die Regierung aussprachen und massiven Druck auf Pühringer aufbauten, war für mich ohne Zweifel klar, dass es hier eine Absprache gegeben haben muss.
Das Kassieren der von der Industrie gehassten, weil profitmindernden, Naturschutzmaßnahmen war der Preis, den die Blauen für die Regierungsbeteiligung zu zahlen hatten. Für die Blauen ein kleiner, für die Umwelt wahrscheinlich ein hoher Preis. So ist nun zu lesen, dass die Umweltpolitik in Zukunft „auf die Bedürfnisse des Wirtschaftsstandortes Rücksicht nimmt und diesen nicht über Gebühr behindert“.
Außerdem soll das „Immissionsschutzgesetz – Luft“ grundlegend geprüft und um die „Belastungen für Wirtschaft und Pendler bereinigt werden.“ Dass das wohl katastrophale Auswirkungen auf den Klimawandel haben könnte, ist man sich aber dann doch bewusst: Laut dem Kapitel Landwirtschaft soll der „Durchversicherungsgrad der bäuerlichen Betriebe für Schadensrisiken wie Dürre, Hochwasser und weitere Elementarschäden steigen und damit die Krisenfestigkeit der heimischen Landwirtschaft gegen die Folgen des Klimawandels weiter gestärkt werden“. Scheiß drauf, wenn die Welt untergeht—Hauptsache, wir sind versichert.
Schließlich gibt es noch eine Überraschung, und zwar im Kapitel Kultur: Obwohl die Volkskultur und Heimatverbundenheit im Fokus stehen—wie zu erwarten war—, ist trotzdem auch ein Bekenntnis zum zeitgenössischen Schaffen und der Förderung der Künstlerinnen, Künstler, Kulturinitiativen und vor allem der Jungen herauszulesen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird es wohl dennoch zu Kürzungen im freien Kulturbereich kommen. Denn im Kapitel Finanzen ist als fixer Punkt eine „spürbare Kürzung der Ermessensausgaben“ enthalten, die im Kulturbereich eben ausschließlich die Vereine und die freien Kunstschaffenden trifft.
Genauso spannend wie jene Teile, die im Arbeitsübereinkommen konkret ausformuliert sind, sind aber auch diejenigen, die offen formuliert sind: Gezählte 18 Mal fällt das Wort „Evaluierung“. Das betrifft ganze Gesetze und Infrastrukturbereiche: Angefangen beim Integrationsleitbild, über pädagogische Grundsätze, Schulstandorte, das Generalverkehrskonzept, die Energiepolitik oder auch die Spitalsreform bis zum gesamten (!) Sozialsystem—alles soll evaluiert werden.
Das kann zwei Dinge bedeuten: Entweder waren sich ÖVP und FPÖ nicht einig und haben die Diskussion in die Zukunft verlagert. Oder sie waren sich einig, wollten das konkrete Vorhaben aber aus taktischen Gründen noch nicht öffentlich machen. Es steht zu befürchten, dass so erst Schritt für Schritt das ganze Ausmaß des schwarz-blauen Umbaus des Landes sicht- und spürbar werden wird.
Eine weitere Möglichkeit ist, dass die FPÖ ihre neue Macht im Burgenland und in Oberösterreich—und hier besonders in Wels, wo sie den ersten blauen Bürgermeister der Stadt stellt—zuerst noch zaghaft einsetzt und mit den echten Grauslichkeiten noch abwartet, bis die Freiheitlichen auch im Bund in der Regierung sind. Im schlimmsten Fall muss die FPÖ bis 2018 warten, im besten Fall stürzt sich die ÖVP in Neuwahlen, deren Ergebnis wir aus den Sonntagsfragen antizipieren können.
Als Fazit bleibt: Das Arbeitsübereinkommen der neuen oberösterreichischen schwarz-blauen Koalition ist eine Mischung aus Absehbarem und Bewährtem sowie teils vernünftigen und in vielen Bereichen schlechten oder schlicht dummen Vorhaben. Das Verhandlungsteam der ÖVP hat ihre Schäfchen ins Trockene gebracht und dafür der FPÖ das geschenkt, was sie will: Macht, Einfluss und die Möglichkeit, symbolische und reale Politik gegen Ausländer und Andersdenkende zu betreiben.
Es wirkt nicht, als hätte Pühringer vor, die FPÖ zu entzaubern—dafür ist er ihr zu weit entgegenkommen. Was das langfristig für das Land bedeutet, ist heute noch schwer zu sagen, und hängt von vielen Fragen ab.
Etwa der, ob die SPÖ aufwacht und wieder anfängt, eine Politik nach sozialdemokratischen Grundsätzen zu betreiben. Oder ob die Grünen ihre neue alte Rolle als Oppositionspartei wieder aufnehmen können. Oder ob die Linzer SPÖ eine Koalition mit der FPÖ aufnimmt, wie erste Berichte fürchten lassen. Und ob die Zivilgesellschaft die Energie und den Mut aufbringt, sich gegen das Auseinanderdividieren der Gesellschaft, gegen die drohenden Sparmaßnahmen und gegen den fortschreitenden Rechts- und Rückwärtsruck zu wehren.