Re-Publik

Dieser Artikel ist ursprünglich in der KUPFzeitung #159 erschienen.

Thomas Diesenreiter über das Öffentliche im Zeitalter des Individualismus: Was kann alles „Öffentliches“ sein und wer ist dafür zuständig?

kupfzeitung-159Das Öffentliche ist seit der Aufklärung die zentrale gesellschaftliche Diskurszone. Befeuert von der Digitalisierung und dem Fortschreiten des neoliberalen Umbaus werden nun lange festgezogene Grenzen des Öffentlichen wieder neu verhandelt. Zentrales Konstrukt ist dabei das sogenannte öffentliche Interesse, das bedeutet, das Gemeinwohl über das Wohl eines Individuums zu stellen. Die Trennlinien des Öffentlichen verlaufen dabei nicht zwischen der staatlichen und der privaten Sphäre, wie manche glauben. Denn im öffentlichen Interesse denken und handeln ist Aufgabe aller Teile einer Gesellschaft, egal ob Partei, Behörde, Firma, Kulturverein oder Individuum. Das Thema führt uns daher zur GIS und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den für alle zugänglichen öffentlichen Raum und auch zu den Subventionen für das Staatstheater und den kleinen Kulturverein ums Eck.

Wie wir in dieser Ausgabe der KUPFzeitung zeigen, sind alle diese Bereiche derzeit heftig umstritten. Nicht wenige fordern, die öffentlichen Subventionen für Medien, seien es öffentlich-rechtliche, private oder freie, abzuschaffen oder zumindest stark zu kürzen. Die Ausgaben der öffentlichen Hand für Kultur sind in den letzten Jahren anteilsmäßig gesunken und in den besten Fällen in absoluten Zahlen gleich geblieben. Wer im öffentlichen Raum betteln, wer Bier trinken, wer werben und wer sich wie präsentieren darf, Stichwort Burkaverbot, wird täglich im Boulevard ausgehandelt. Aber überall dort, wo das Gemeinwohl private Profitinteressen bedroht, kommt es stark in Bedrängnis und Erklärungsnot. Im Diskurs werden private Interessen von einzelnen AkteurInnen pointiert vertreten, doch wer vertritt im öffentlichen Diskurs dann das Gemeinwohl?

Die Antwort ist einfach: Es ist die Aufgabe der Politik, dass das Gemeinwohl nicht zu kurz kommt. Damit der Interessensausgleich im gesellschaftlichen Diskurs nicht nur zwischen einzelnen Partikularinteressen geschieht, sondern auch die Gesellschaft als Ganzes im Auge hat, braucht es politische AkteurInnen, die das abstrakte Gemeinwohl konkretisieren und vertreten können. Es ist diese Fähigkeit, die man derzeit bei unserer Politik, aber auch in unserer Gesellschaft am meisten vermisst. Der Pluralitätszuwachs, bei dem sich jede und jeder selbst in den sozialen Medien am öffentlichen Diskurs beteiligen kann, haben den Stimmen der Individuen eine noch nie dagewesene Aufmerksamkeit beschert. Doch vor lauter Einzelinteressen verlieren wir allzu oft den Blick auf das Gemeinsame.

Es gibt Gegenströmungen: Die Open Everything Bewegung, das Recht auf Stadt, die Gemeinwohlökonomie, die Freien Medien und nicht zuletzt die alternative Kulturszene arbeiten daran, das Bewusstsein für öffentliche und gemeinschaftliche Räume, Wissen und Gesellschaften zu schärfen und diese auszubauen. Mit Creative Commons und der Open Source Community haben sich im digitalen Bereich gemeinwohlorientierte Modelle etabliert, die weit über Nischenphänomene hinausgehen. Die wachsende Zahl kultureller Initiativen eröffnet Räume, erobert den öffentlichen Raum zurück und versucht, unterprivilegierten Ansichten mehr Öffentlichkeit zu verschaffen. Neue Wirtschaftsinitiativen versuchen, nachhaltig und fair zu arbeiten und damit ein anderes, kooperatives Denken statt der auf bedingungsloser Konkurrenz aufbauenden klassischen Wirtschaft zu etablieren.

Während die herrschende Politik das öffentliche Interesse in den letzten zwei Jahrzehnten primär im Ausbau des Überwachungsstaates und der Verstärkung des Sicherheitsapparats gesehen hat, blieb sie dort untätig, wo das Gemeinwohl von privaten Profitinteressen bedroht ist. Die oben skizzierten Gegenströmungen und die Wahlerfolge progressiver Parteien lassen aber auf ein neues Bewusstsein, gerade der nachkommenden Generation schließen. Es wird noch Jahre dauern, bis die derzeitige Hegemonie des neoliberalen Denkens und Wirkens von einem neuen Paradigma abgelöst wird. Doch der aktuelle Diskurs zeigt, dass darin das Gemeinwohl wieder einen stärkeren Platz einnehmen wird.

Stimmungsschwankungen

Dieser Artikel ist ursprünglich in der KUPFzeitung #158 erschienen.

Im Leitartikel beschäftigt sich der frische KUPF-Geschäftsführer Thomas Diesenreiter mit neuen Stimmen aus Ämtern der Bundesebene. Aber auch interessante Stimmungsschwankungen in Oö kommen ihm unter und – wie schon vor zwei Ausgaben an dieser Stelle – stimmt er zuversichtlich.

KUPFzeitung 158 CoverSelten war Österreichs Politik so spannend wie in den letzten Wochen. Nie zuvor gab es in der zweiten Republik eine Bundespräsidenten-Stichwahl ohne einen Kandidaten der beiden ehemaligen Großparteien. Die SPÖ hat nach diesem historischen Desaster ihren Reservekanzler Christian Kern in die erste Reihe geholt, dessen größter Verdienst zuvor die Sanierung der Staatsbahn war, vor allem die ihres Images. Seine ersten Statements und Personalentscheidungen legen den Schluss nahe, dass er eine ähnliche Strategie verfolgen wird wie bei den ÖBB: In seiner Antrittsrede im Parlament war einer seiner wesentlichen Eckpunkte das „Drehen der Stimmung“, eine pragmatische Anerkennung des Umstands, dass unser gesellschaftliches System heute mehr von Emotionen als von Fakten bestimmt wird. Sein Kalkül kann aufgehen: In der ersten Sonntagsfrage konnte seine Partei das erste Mal seit Jahren wieder signifikant zulegen, bei der Kanzlerfrage konnte er aus dem Stand heraus den ersten Platz erobern.

Dass es bei Urnengängen nicht nur auf die Stimmen, sondern auch auf die Stimmung ankommt, konnten wir bei der Stichwahl beobachten. Dass Faymann, innenpolitisches Hauptfeindbild der FPÖ, von der Bühne gestiegen ist, hat sie spürbar Momentum gekostet, der starke Antritt Kerns dann vielleicht sogar die Wahl. Mit dem knappen Ergebnis scheint sich ein Stimmungsbild zu bewahrheiten, das Österreichs Medien in den Wochen zuvor malten: das Bild einer Republik, die in eine linke und rechte Hälfte gespalten sei. Es ist anzunehmen, dass diese Behauptung wohl mehr der Steigerung der Auflagenzahlen dient, als dass sie eine Beschreibung der Realität darstellt. Denn Österreich hat mehr denn je eine hochkomplexe, vielschichtige und dynamische Gesellschaft, die mit einfachen Erzählmustern nur unzureichend beschreibbar ist. Das erhöht den Druck auf PolitikerInnen und macht Wahlergebnisse immer schwerer vorhersehbar. Spüren musste das beim zweiten Wahlgang auch die FPÖ Wels: Wo Rabl in der Stichwahl um das Bürgermeisteramt vor wenigen Monaten noch fast zwei Drittel der Stimmen erreichte, konnte die FPÖ für Hofer nur noch 48% der Stimmen holen.

Die Stimmung scheint sich auch an einer anderen Front zu drehen: Einer der Architekten der schwarz-blauen Regierung Oberösterreichs, ÖVP Wirtschaftslandesrat Michael Strugl, hat laut Life Radio erkannt, dass ein politischer Rechtsruck auch wirtschaftspolitische Konsequenzen haben kann: „Wenn Österreich den Eindruck erweckt, dass es ein fremdenfeindliches Land ist, könnte uns das Arbeitsplätze kosten“. Er habe mit Vorständen von mehreren großen, internationalen Unternehmen gesprochen: BMW, Lenzing, Steyr Motors und Rosenbauer. Sie alle werden immer öfter von Fachkräften im Ausland angesprochen, ob sie als Ausländer in Österreich überhaupt willkommen seien. Ob sie und ihre Familien hier noch gut leben könnten. „Österreich müsse achtgeben, dass es weiter weltoffen wirkt“, sagt Strugl weiter. Uns bleibt zu appellieren, dass die ÖVP Weltoffenheit nicht nur als Frage des Images, sondern als Leitlinie moderner Politik auf- und begreift.

„Wir werden eine andere Kultur brauchen“, hat der neue Bundespräsident Van der Bellen in seiner ersten Ansprache nach dem Wahlsieg erklärt. Er spielt damit auf den „New Deal“ an, den der neue Bundeskanzler Kern für Österreich schmieden möchte. Einen solchen „New Deal“ braucht es auch in der Kulturpolitik. Der neue Kulturminister und gebürtige Oberösterreicher, Thomas Drozda, gibt in einem Interview mit der APA durchaus Anlass zur Hoffnung. Auf die Frage, ob ihm Alternativ- und Subkultur ein Anliegen sind, antwortet er: „Ich werde mein Möglichstes tun, auch dafür eine adäquate Ressourcenausstattung sicherzustellen. Ich finde das als Sozialdemokrat relevant.“

Es scheint sich ein kleines Fenster aufzutun, im dem wir das Ruder in diesem Land noch einmal rumreissen können. Machen wir etwas daraus.

Offener Brief: Rücktritt als Vorsitzender des Stadtkulturbeirats aus Protest gegen die Einführung des sektoralen Bettelverbots

Ich habe heute meine Position als Vorsitzender des Linzer Stadtkulturbeirats zurückgelegt und dazu folgenden Brief an die Mitglieder des Linzer Gemeinderats geschickt:

Sehr geehrte Damen und Herren,

aus Protest gegen die anhaltende Verfolgung und Kriminalisierung von BettlerInnen und Armutsbetroffenen durch die Stadt Linz und Teilen der politischen Parteien lege ich hiermit die ehrenamtliche Position des Vorsitzenden des Linzer Stadtkulturbeirats zurück.

Ich kann es nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren, mich für eine Stadt zu engagieren, die zwar davon spricht, sich kulturell und gesellschaftlich zu öffnen, aber gleichzeitig gezielt einzelne Menschengruppen ausschließt und verfolgt.

Linz hat sich in den vergangenen Jahrzehnten darum bemüht, eine liberale und offene Stadt zu werden, die mutig nach vorne blickt. Diesen erfolgreichen Pfad hat das offizielle Linz in den letzten beiden Jahren verlassen, mit einer erschreckenden Geschwindigkeit und Entschlossenheit. Aus Angst vor einem Erstarken rechter Politik haben die beiden ehemaligen Volksparteien SPÖ und ÖVP selbst einen Rechtskurs eingeschlagen und in Folge ihre eigenen Prinzipien und Wertevorstellungen aufgegeben. Die Verfolgung der in Linz lebenden Notreisenden ist nur eine Komponente von vielen, aber sie ist das augenscheinlichste Beispiel für jene unsoziale Politik der ehemaligen Sozialstadt Linz, gegen die ich protestiere. Statt soziale Antworten auf ein soziales Problem zu suchen, wird nun mit Sicherheitskräften und Verboten eine Law&Order Politik verfolgt, die Probleme nicht löst, sondern nur verlagern wird. Diese Verdrängungspolitik wird bloß zu räumlichen Verlagerungseffekten in die Nebenstraßen und zu Verlagerungseffekten im Verhalten führen, die aus Verzweiflung zu mehr Kriminalität oder Prostitution führen können.

Ich appelliere nochmals an alle Mitglieder des Gemeinderats, morgen gegen die weitere Verschärfung der Bettelverbote und das sektorale Bettelverbot zu stimmen. Suchen wir lieber gemeinsam echte Lösungen, statt weiter die Menschen in Linz gegeneinander aufzustacheln. Es ist die Aufgabe der Politik, die Gesellschaft zusammenzuhalten. Die derzeitige Richtung führt aber nur zu einer tieferen Spaltung der Menschen, zu einem Einteilen in Gut und Böse, zu Trennung statt zu Zusammenhalt. Wohin das Ausspielen von verschiedenen Bevölkerungsgruppen gegeneinander führen kann, müssen wir in Österreich besonders wissen. Die derzeitige Politik der Ausgrenzung und Vertreibung insbesondere der Volksgruppe der Roma erinnert an ein dunkles Kapitel unserer Geschichte. Die selbe Stadt, die sich in den letzten Jahrzehnten durchaus engagiert um die Aufarbeitung ihrer Rolle in der NS-Zeit bemüht hat, führt nun das erste Mal seit 1939 wieder systematisch eine „Zigeunerliste“ – heute nennen wir sie Bettlerdatenbank. Es sind die selben Vorurteile, die heute wie damals zu der Verfolgung der Roma führten: Die pauschale Unterstellung von Kriminalität und Asozialität. Die Rechtsgrundlage für den „Festsetzungserlass“ des Deutschen Reiches war der „Erlass zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“. Die Tragweite dieses Erlasses war eine viel drastischere, aber der Mechanismus ist der selbe: Die pauschale Kriminalisierung einer Menschengruppe und ihres Verhaltens. Während in der Mehrheitsbevölkerung der Zusammenhalt innerhalb der Familie propagiert wird, nennen wir den selben Zusammenhalt bei Roma-Familien eine „organisierte Bettelbande“ und „Bettelmafia“. Diese Hetze wird durch die Stadt sowohl in ihrer Pressearbeit verbreitet, als auch auf der stadteigenen Plattform Schau.auf.Linz toleriert oder gar unterstützt.

Der so durch Politik und Medien geschürte Hass auf BettlerInnen führte in den letzten Monaten zu drei Brandanschlägen auf ihre bescheidenen Zeltlager. Statt zu helfen hat die Stadt Linz wenige Wochen später, bewusst als Pressetermin inszeniert, auch das vierte Zeltlager mit Unterstützung der Polizei geräumt. Dass der mehrfache Verlust ihres Hab und Guts zu mehr Verzweiflung und teilweise aufdringlicherem Verhalten geführt hat, wird nun zynischerweise als Rechtfertigung für das sektorale Bettelverbot gesehen. Es ist eine empathielose Politik, die sich weigert, sich auch nur für einen Moment in die Position jener Menschen zu versetzen, die am Rande der Stadt im Freien schlafen und ihre Kinder in Brunnen und der Donau waschen müssen. Es ist eine empathielose Politik, die sich weigert, Kinder von BettlerInnen in Kindergärten und Schulen aufzunehmen, und gleichzeitig den BettlerInnen vorwirft, dass sie daher ihre Kinder beim Betteln mitnehmen. Es ist eine empathielose Politik, die gleichzeitig keine legalen Nächtigungsmöglichkeiten ermöglicht und den BettlerInnen dann illegales Campieren vorwirft.

Wir müssen endlich der Tatsache ins Auge blicken, dass steigende Armut sowohl in Österreich als auch in Europa etwas reales ist, das nicht durch Verbote abgeschafft werden kann. Ich erwarte mir von der Politik eine langfristige Strategie, die die soziale Frage und die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit in den Vordergrund stellt. Ich erwarte mir von der Politik eine Enscheidungsfindung basierend auf Fakten statt auf Vorverurteilungen des Boulevards und Stimmungsbildern einer aufgehetzten Bevölkerung. Ich erwarte mir besonders von ÖVP und SPÖ ein entschiedenes Entgegentreten gegen Rechtsextremismus statt der reflektionslosen Übernahme rechter Positionen.

Ich danke meinen langjährigen KollegInnen im SKB, der LinzKultur und den Mitgliedern des Kulturausschusses für die gute und produktive Zusammenarbeit der letzten Jahre und verspreche, mich auch weiterhin für die kulturelle Szene der Stadt Linz zu engagieren. Aber es ist mir wichtiger, heute ein deutliches Zeichen gegen die Verfolgung der Armen zu setzen, als ein ehrenwertes Amt zu bekleiden.

Mit den besten Grüßen,
Thomas Diesenreiter

Thomas Diesenreiter - Foto Jürgen Grünwald 1

Foto: Jürgen Grünwald

Blogs in der Politik

Letzte Woche wurde ich eingeladen, für das Studium „Politische Bildung“ der Johannes Kepler Universität einen kurzen Input zur Verwendung von Blogs in der Politk zu geben. Auch wenn Blogs im Jahr 2016 eine deutlich weniger wichtige Rolle als noch vor 10-15 Jahren spielen, gibt es dennoch nach wie vor gute Gründe, die für die Verwendung von Blogs sprechen. Auffallend ist aber dennoch, dass viele der heute aktiven Blogs schon gegründet wurden, als Facebook und Twitter noch nicht jene Dominanz hatten, die sie heute haben. Es gilt wie auf anderen Kommunikationskanälen ein gewisses Senioritätsprinzip: Wer bald aufgesprungen ist, hat später meist eine größere LeserInnenbasis und gibt diese dann natürlich auch nicht so leichtfertig auf.

Auf mehrfache Anfrage stelle ich die Präsentationsfolien gerne hier online, entweder als PDF (mit verknüpften Links) oder unten als Bilder. Je Blog-„Genre“ habe ich zwei bis drei Blogs herausgegriffen und ihre hervorstechenden Eigenschaften beschrieben und mit den Studierenden besprochen. Insgesamt muss man sagen, dass die heimische Politblogszene äußerst überschaubar ist (wenn man Blogs ausschließt, die nur selten publizieren und eher inaktiv sind). Besonders im Politbereich ist es auffällig, dass die meisten aktiven Blogs von SPÖ, Grünen, Neos und zu einem kleinen Teil der KPÖ kommen. Die offizielle Blog-Liste der ÖVP spuckt zwar acht Blogs aus, davon sind vier aber offline oder veraltet und einer nicht zwingend einem ÖVP-Politiker zuordenbar. Dem gegenüber steht eine große Zahl an JournalistInnen und PolitbeobachterInnen, die teils sehr regelmässig Blogs benutzen, um ihre Arbeit zu dokumentieren und kontextualisieren.

Die meisten Blogs in der Liste stammen aus Österreich, teilweise habe ich aber auch wichtige Referenzen aus dem Ausland verwendet. Viel Spaß beim Durchklicken:

Wenn ihr noch gute Tipps für politische Blogs habt, die in meinen Slides nicht vorkommen, bitte einfach einen Kommentar hinterlassen!

Mut zur Brücke

Kupfzeitung-156-Dezember-2015-CoverDieser Text erschien erstmals in der Dezember 2015-Ausgabe der KUPF-Zeitung der Kulturplattform Oberösterreich, und steht unter einer CC-BY-NC Lizenz.

Die Ergebnisse der Landtags- und Gemeinderatswahl in Oö geben zu denken. Hoffentlich. Denn die ersten Reaktionen quer durch die (nicht-blauen) Lager waren eher von Emotionen geprägt. Von Unverständnis beispielsweise: Wie kann man nur eine Partei wählen, die so offen fremdenfeindlich, frauenfeindlich und rückständig ist? Oder von Angst: Was bedeutet das jetzt für unsere Gesellschaft, und vor allem für die Schwächsten in ihr? Bleibt Oö lebenswert oder müssen wir einen Kahlschlag im Sozial- und Kulturbereich fürchten? Oder von Zorn: Zorn auf die Wähler*innen der FPÖ, denen von vielen pauschal unterstellt wurde, dass sie Idiot*innen und Nazis seien. Zorn auf SPÖ und Grüne, weil sie es trotz eines viel größeren Wähler*innenpotentials nicht schaffen, Mehrheiten für ihre Politik zu finden.

Eine solche Reaktion ist menschlich. Nur bringt sie uns nicht weiter. Und sie zeigt vor allem eines: dass die Politik der gezielten Verunsicherung der Rechten Früchte trägt. Nicht nur bei jenen Menschen, die am meisten vor Ihnen zu fürchten haben: den Migrant*innen, den Asylwerber*innen, den Bettler*innen oder allgemeiner, den sozialen Randgruppen. Sondern auch bei den Menschen links der Mitte, den politisch Aktiven, den Kulturtäter*innen und Progressiven. Für zweitere wird Schwarz-Blau im Land Oberösterreich oder Rot-Blau in Linz zwar unangenehm sein, sie haben aber im Vergleich zur ersten Gruppe vergleichsweise viele Alternativen und andere Möglichkeiten, zu überleben.

Auf der zivilgesellschaftlichen Ebene ist eine gewisse Apathie zu orten: Wer über Jahre die ewig gleichen Verteilungs- und Abwehrkämpfe führen muss, wird müde. Lange erkämpfte Rechte und zivilisatorische Fortschritte werden scheibchenweise wieder demontiert. So protestieren immer nur einzelne Gruppen, einmal die Kulturarbeiter*innen, einmal die Sozialarbeiter*innen, einmal die Pflegekräfte. Wenn – wie in Linz – die Ermessensausgaben um 10 % gekürzt werden, ist die Unterschrift eines offenen Briefs scheinbar das Maximum der Kampagnenfähigkeit.

Auf der politischen Ebene können wir eine gelähmte Sozialdemokratie beobachten, die nicht den Mut hat, jene sozialdemokratische Politik zu machen oder zumindest zu fordern, die diese Bewegung einst groß gemacht hat. Die österreichische Sozialdemokratie hat vielfach die Rahmenerzählung der Rechten und Konservativen übernommen. Nicht aus Prinzip, sondern in dem Irrglauben, dass die Gesellschaft nun mal so ist und nur so Wahlen gewonnen werden können. Statt Solidarität mit den Armen zu leben, werden Anti-Bettelgesetze eingeführt, «damit die FPÖ kein Wahlkampfthema hat», wie es der Linzer Bürgermeister Luger einmal im Gespräch begründete. Sieht man sich in Europa um, zeigt sich, dass diese Taktik nicht funktioniert. Jene sozialdemokratischen Parteien, die neoliberal und rechtskonservativ agieren, verlieren laufend Wahlen, ob in Deutschland, Griechenland oder eben Österreich. Überall dort, wo sozialdemokratische Parteien wie die Syriza in Griechenland oder einzelne Politiker wie Jeremy Corbyn in den UK linke Politik machen, sind sie aber im Aufwind.

Der Verunsicherung der Rechten kann man also nur eines entgegenstellen: Zuversicht und Mut. Besonders für jene, die diesmal rechts gewählt haben. Wir müssen Antworten auf die echten Ängste der Menschen finden, die aus Furcht vor dem sozialen Abstieg den hetzerischen Worten der FPÖ Glauben schenken. Wenn wir den Rechten das Wasser abgraben wollen, braucht es die Entwicklung und Vermittlung einer positiven Zukunft. Da muss sich die ÖVP beispielsweise für eine grundlegende Verteilungsdebatte öffnen. Die SPÖ kommt nicht daran vorbei, sich zu überlegen, wie sie ihre Grundwerte wie Solidarität, Freiheit und Gleichheit wieder zur Grundlage ihres Handelns machen kann. Die Gegner*innen der Rechten sind ja in der Überzahl. Es liegt also in unser aller Verantwortung, an einem Strang zu ziehen.

Kupfzeitung-156-Dezember-2015-Leitartikel-Thomas DiesenreiterDie politischen Parteien werden dabei nicht umhinkommen, den Schulterschluss mit der Zivilgesellschaft zu suchen; die Grünen machen es vielfach vor. Und wir aus der Zivilgesellschaft? Wir müssen dafür offen sein. Wir dürfen nicht davor zurückscheuen, selbst politisch aktiv zu sein, Allianzen zu schließen und Brücken zu bauen. Offenheit braucht es dafür auf beiden Seiten.

Scheißts euch nicht an, wir kriegen das wieder hin.

 

Wie Schwarz-Blau Oberösterreich verändern wird

Dieser Text wurde erstmals am 26.10.15 in der Onlineausgabe von Vice als Gastbeitrag veröffentlicht.

Betrachtet man die oberösterreichischen Wahlergebnisse der Zweiten Republik, so war die letzte Wahl eine Wahl der Rekorde. Die beiden ehemaligen Volksparteien ÖVP und SPÖ stellten ihren Negativrekord, FPÖ und Grüne ihr Allzeithoch ein. Die angeschlagene ÖVP ließ ihren bisherigen Juniorpartner gehen und holte die im Wahlkampf noch offensiv attackierten Freiheitlichen an den Verhandlungstisch.

Oberösterreich Wahl Ergebnis Sprengel

Knapp vier Wochen später lautet die Devise nun, mit „Mut und Entschlossenheit Oberösterreich weiter entwickeln“. So steht es jedenfalls auf dem Deckblatt des 95.000 Zeichen schweren Arbeitsübereinkommens zwischen ÖVP und FPÖ. Arbeitsübereinkommen und nicht Koalition deshalb, weil beide Parteien betonen, dass sie sich nicht selbst in Fesseln legen wollen.

Das ist ein erster von vielen Hinweisen darauf, dass dieses schwarz-blaue Bündnis nicht nur Business-as-usual ist. Der alte und neue Landeshauptmann Pühringer hat ein weiteres Mal bewiesen, dass ihm eine gewisse Flexibilität im machtpolitischen Spiel innewohnt. Schon die erste schwarz-grüne Koalition 2003 erregte einiges an Aufmerksamkeit, als Pühringer statt der zweitplatzierten SPÖ die Grünen in eine Koalition holte.

Dies ermöglichte den Grünen ihre erste Beteiligung an einer Landesregierung und damit die Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, dass auch sie regieren und gestalten können. Bundesweit hat es sich für sie ausgezahlt—Rot-Grün in Wien und die Beteiligungen in Tirol und Kärnten waren so einfacher zu haben. Für die SPÖ wiederum bedeutete der Koalitionsausschluss, trotz einer weiteren Beteiligung in der Proporz-Regierung, einen Macht- und Bedeutungsverlust, der bis heute nachwirkt.

Screenshot ORF Übertragung Angelobung Landesregierung OÖ 2015

Also, was bedeutet Schwarz-Blau für Oberösterreich? Wird es ähnlich ausgehen wie damals, im Jahr 2000, als Bundeskanzler Schüssel die Blauen in die Bundesregierung holte, um sie zu entzaubern? Ein Zaubertrick, dessen Details noch heute viele Richter und Staatsanwälte beschäftigt. Wird es wöchentliche Gegendemos geben und zur Politisierung einer ganzen Generation, der übrigens auch ich angehöre, führen?

Nein, davon ist diesmal nicht auszugehen. Einerseits, weil die Wirkmöglichkeiten auf Landesebene geringer ausfallen als auf Bundesebene. Auch wenn das Fallbeispiel von Haiders Kärnten eine andere Sicht nahelegen würde, so ist hier die FPÖ (noch) in der Juniorrolle und steht dabei einer ÖVP gegenüber, deren Machtapparat bis in die letzte der 442 Gemeinden reicht. Andererseits, weil die strategische Ausrichtung von Haimbuchners FPÖ eine andere als zu Haiders Zeiten ist. Während das vorrangige Ziel der beiden FPÖ-Bundeskoalitionen war, durch Machtgewinn sich selbst die Taschen zu füllen, so wird die oberösterreichische FPÖ von einer klaren, ideologischen Doktrin angetrieben.

Und genau das ist es, was diese blaue Regierungsbeteiligung gefährlich macht. Liest man das Arbeitsübereinkommen, so kommt man über weite Strecken zum Schluss, dass viele Punkte auch in Regierungskonstellationen mit anderen Parteien stehen könnten.

Die ÖVP hat die ihr wichtigen Vorhaben untergebracht. Ein starker Fokus liegt auf wirtschaftspolitischen Vorhaben, die schon vor Jahren formuliert wurden und wahrscheinlich von allen Parteien im Landtag mitgetragen werden. Auch der Ausbau des oberösterreichischen Studienangebots in Richtung einer echten Volluniversität gilt als Konsens zwischen allen Parteien. Dass ein großes Augenmerk auf Forschung, und hier auf Themen wie Industrie 4.0, gesetzt wird, ist auch wenig überraschend und wird außer Streit stehen.

Wirklich bedrückend wird es aber, wenn man das Kapitel „Migration, Asyl und Integration“ aufschlägt. Der Zuzug von Menschen wird ausschließlich als Bedrohung wahrgenommen und so behandelt. Aus jedem Satz lässt sich die Angst vor den Fremden herauslesen, gegen die gleichzeitig auch Abwehrmechanismen aufgebaut werden.

Dabei versteigt sich das Koalitionsübereinkommen auch so weit, von einer christlich-abendländischen Werteordnung zu sprechen, die ein demokratisches und rechtsstaatliches Prinzip unserer Verfassung darstellen soll. Dass davon kein Wort in der Bundes- oder der Landesverfassung steht, sondern im Gegenteil dort die Religionsfreiheit als elementarer Bestandteil unserer Gesellschaft festgehalten ist, tut der blauen Überlegenheitsfantasie anscheinend keinen Abbruch.

Es hat darüber hinaus eine gewisse Ironie, wenn man in der nächsten Zeile unter Berufung auf eben diese Werte anmerkt, dass „intolerantes Verhalten gegenüber der Gleichstellung von Mann und Frau“ inakzeptabel sei—vor allem, wo die neue schwarz-blaue Landesregierung bekanntlich aus neun Männern besteht und den Frauen nur ein Nachrückrecht eingeräumt wurde.

Landesregierung OÖ 2015 Zipferl Thomas Philipp

Wenn man in der Vergangenheit rückständige Integrationskonzepte kritisieren musste, verwendete man gern die Feststellung, dass Integration keine Einbahnstraße sei. Selten aber wurde genau das offener kommuniziert: „Das Ziel muss sein, dass sich Migranten auch im Sinne einer Bringschuld in die Gesellschaft integrieren und es nicht zu Ghettobildungen kommt.“

Kein Wort zu den Verpflichtungen der Mehrheitsgesellschaft. Kein Wort zu den stetig steigenden rechtsextremen Übergriffen und der besorgniserregenden Zunahme an Alltagsrassismus. Wer sich nicht im Sinne von Schwarz-Blau integriert, dem wird gedroht: mit dem Wegfall von Sozialleistungen, mit Asyl auf Zeit, mit dem Abschieben bei Arbeitslosigkeit bei Rot-Weiß-Card Besitzern.

Der Gipfel der Absurdität ist eine Deutschsprach-Pflicht, die in den Hausordnungen aller Bildungseinrichtungen verankert werden soll: „Somit kann sichergestellt werden, dass nicht nur während des Unterrichts, sondern auch in den Pausen und auf dem gesamten Schulareal deutsch gesprochen wird.“ Was passiert, wenn nicht Deutsch gesprochen wird, und ob damit in Zukunft auch keine Fremdsprachen mehr in Oberösterreich unterrichtet werden sollen, lässt das Papier aber offen.
In der Zwischenzeit hat das Bildungsministerium übrigens in einer Stellungnahme festgestellt, „dass das Festlegen von Deutsch als einziger außerhalb des Unterrichts in der Schule zulässiger Sprache beziehungsweise das Verbot einer bestimmten oder mehrerer Sprachen im Rahmen von Hausordnungen oder Verhaltensvereinbarungen jedenfalls im Widerspruch zur Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Artikel 8 der Europäische Menschenrechtskonvention und zu Artikel 1 des Bundesverfassungsgesetz über die Rechte des Kindes steht und daher unzulässig ist.“

"Burschenbundball 2012" am Samstag, 11. Februar 2012, in Linz APA-FOTO: RUBRA

„Burschenbundball 2012“ am Samstag, 11. Februar 2012, in Linz APA-FOTO: RUBRA

Das zweite brisante Kapitel bildet der Themenkomplex Sicherheit. Brisant insofern, weil das Ressort in Zukunft bei FPÖ-Landesrat Elmar Podgorschek liegen wird. Dieser ist Mitglied der schlagenden Burschenschaft AcSV Germania—ein strammer Rechter, der Beziehungen zu verurteilen Neonazis wie Gottfried Küssel pflegt. Auch hier wird im Text wieder von substanziellen Gefährdungen der BürgerInnen fabuliert, die vermeintlich besonders durch Gewaltverbrechen und Suchtgift-Kriminalität bedroht sind. Die Lösung soll flächendeckende Videoüberwachung im öffentlichen Raum sein, besonders in öffentlichen Verkehrsmitteln. London lässt grüßen.

Noch dramatischer ist, dass der Punkt „Armutsmigration“ in diesem Kapitel zu finden ist. Soziale Fragen wie jene der Armut, die Menschen dazu zwingt, zu betteln, können nicht durch sicherheitspolitische Ansätze gelöst werden. Eine solche Politik führt nur zur Verschärfung der Lage der Betroffenen—zu räumlichen Verdrängungseffekten und auf jeden Fall nicht zur Lösung des Problems. Im Gegenteil soll in Oberösterreich eine konsequente Vollziehung der bestehenden Bettelverbote exekutiert werden, die von Initiativen wie der Bettellobby OÖ (Disclaimer: der Autor ist Teil von dieser) massiv kritisiert werden.

Der dritte bedenkliche Teil betrifft das Kapitel Umweltschutz. Schon kurz nach der Wahl ließ der oberösterreichische FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner aufhorchen, als er eine Rücknahme der Naturschutzmaßnahmen forderte, die Schwarz-Grün in den Jahren zuvor beschlossen haben. Als einen Tag später sowohl die Industriellenvereinigung als auch der Wirtschaftsbundvertreter Strugl sich öffentlich für das Hereinholen der Blauen in die Regierung aussprachen und massiven Druck auf Pühringer aufbauten, war für mich ohne Zweifel klar, dass es hier eine Absprache gegeben haben muss.

Das Kassieren der von der Industrie gehassten, weil profitmindernden, Naturschutzmaßnahmen war der Preis, den die Blauen für die Regierungsbeteiligung zu zahlen hatten. Für die Blauen ein kleiner, für die Umwelt wahrscheinlich ein hoher Preis. So ist nun zu lesen, dass die Umweltpolitik in Zukunft „auf die Bedürfnisse des Wirtschaftsstandortes Rücksicht nimmt und diesen nicht über Gebühr behindert“.

Außerdem soll das „Immissionsschutzgesetz – Luft“ grundlegend geprüft und um die „Belastungen für Wirtschaft und Pendler bereinigt werden.“ Dass das wohl katastrophale Auswirkungen auf den Klimawandel haben könnte, ist man sich aber dann doch bewusst: Laut dem Kapitel Landwirtschaft soll der „Durchversicherungsgrad der bäuerlichen Betriebe für Schadensrisiken wie Dürre, Hochwasser und weitere Elementarschäden steigen und damit die Krisenfestigkeit der heimischen Landwirtschaft gegen die Folgen des Klimawandels weiter gestärkt werden“. Scheiß drauf, wenn die Welt untergeht—Hauptsache, wir sind versichert.

Schließlich gibt es noch eine Überraschung, und zwar im Kapitel Kultur: Obwohl die Volkskultur und Heimatverbundenheit im Fokus stehen—wie zu erwarten war—, ist trotzdem auch ein Bekenntnis zum zeitgenössischen Schaffen und der Förderung der Künstlerinnen, Künstler, Kulturinitiativen und vor allem der Jungen herauszulesen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird es wohl dennoch zu Kürzungen im freien Kulturbereich kommen. Denn im Kapitel Finanzen ist als fixer Punkt eine „spürbare Kürzung der Ermessensausgaben“ enthalten, die im Kulturbereich eben ausschließlich die Vereine und die freien Kunstschaffenden trifft.

Genauso spannend wie jene Teile, die im Arbeitsübereinkommen konkret ausformuliert sind, sind aber auch diejenigen, die offen formuliert sind: Gezählte 18 Mal fällt das Wort „Evaluierung“. Das betrifft ganze Gesetze und Infrastrukturbereiche: Angefangen beim Integrationsleitbild, über pädagogische Grundsätze, Schulstandorte, das Generalverkehrskonzept, die Energiepolitik oder auch die Spitalsreform bis zum gesamten (!) Sozialsystem—alles soll evaluiert werden.

Das kann zwei Dinge bedeuten: Entweder waren sich ÖVP und FPÖ nicht einig und haben die Diskussion in die Zukunft verlagert. Oder sie waren sich einig, wollten das konkrete Vorhaben aber aus taktischen Gründen noch nicht öffentlich machen. Es steht zu befürchten, dass so erst Schritt für Schritt das ganze Ausmaß des schwarz-blauen Umbaus des Landes sicht- und spürbar werden wird.

Eine weitere Möglichkeit ist, dass die FPÖ ihre neue Macht im Burgenland und in Oberösterreich—und hier besonders in Wels, wo sie den ersten blauen Bürgermeister der Stadt stellt—zuerst noch zaghaft einsetzt und mit den echten Grauslichkeiten noch abwartet, bis die Freiheitlichen auch im Bund in der Regierung sind. Im schlimmsten Fall muss die FPÖ bis 2018 warten, im besten Fall stürzt sich die ÖVP in Neuwahlen, deren Ergebnis wir aus den Sonntagsfragen antizipieren können.

Als Fazit bleibt: Das Arbeitsübereinkommen der neuen oberösterreichischen schwarz-blauen Koalition ist eine Mischung aus Absehbarem und Bewährtem sowie teils vernünftigen und in vielen Bereichen schlechten oder schlicht dummen Vorhaben. Das Verhandlungsteam der ÖVP hat ihre Schäfchen ins Trockene gebracht und dafür der FPÖ das geschenkt, was sie will: Macht, Einfluss und die Möglichkeit, symbolische und reale Politik gegen Ausländer und Andersdenkende zu betreiben.

Es wirkt nicht, als hätte Pühringer vor, die FPÖ zu entzaubern—dafür ist er ihr zu weit entgegenkommen. Was das langfristig für das Land bedeutet, ist heute noch schwer zu sagen, und hängt von vielen Fragen ab.

Etwa der, ob die SPÖ aufwacht und wieder anfängt, eine Politik nach sozialdemokratischen Grundsätzen zu betreiben. Oder ob die Grünen ihre neue alte Rolle als Oppositionspartei wieder aufnehmen können. Oder ob die Linzer SPÖ eine Koalition mit der FPÖ aufnimmt, wie erste Berichte fürchten lassen. Und ob die Zivilgesellschaft die Energie und den Mut aufbringt, sich gegen das Auseinanderdividieren der Gesellschaft, gegen die drohenden Sparmaßnahmen und gegen den fortschreitenden Rechts- und Rückwärtsruck zu wehren.

Offener Brief: Lieber Bettelverbote abschaffen als Brathendl essen

Heute hat mich ein nettes E-Mail von der Führungsebene der SPÖ Oberösterreich erreicht:

Email SPOÖ Wahl 2015 Brathendl

Es war wohl zwar falsch adressiert, aber diese Gelegenheit wollte ich nutzen, um für eine Angelegenheit einzustehen, die mir am Herzen liegt:

Sehr geehrter Herr Landesparteivorsitzender Entholzer, sehr geehrte Frau Soziallandesrätin Jahn, sehr geehrter Herr Klubobmann Makor, sehr geehrte Landtagspräsidentin Weichsler-Hauer!

Danke für Ihre Einladung zu Ihrer Wahlkampfveranstaltung. Dass Sie mich aber mit „Genosse“ ansprechen, überrascht mich etwas, da mir kein Beitritt zur Sozialdemokratischen Partei Oberösterreichs erinnerlich ist.

Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, ihnen auszuführen, was mich davon abhält, Mitglied ihrer Partei zu sein. Es ist eine vertrackte Sache: Denn prinzipiell bin ich ein großer Anhänger der Prinzipien der Sozialdemokratie, also Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität. Ich versuche diese und andere Grundsätze täglich in meiner Arbeit und in meinem Engagement umzusetzen und zu leben.

Selbiges vermisse ich allerdings in der Arbeit und der Positionierung der SPOÖ. Besonders der Kurswechsel der SPOÖ in der Frage der Bettelverbote im vergangenen Jahr hat nachdrücklich meine Meinung zur SPOÖ und den derzeit handelnden Personen negativ beeinflusst.

Das betrifft einerseits die inhaltliche Ebene: Wer das soziale Phänomen der Armut mit sicherheitspolitischen Ansätzen behandelt, löst nicht das Ursprungsproblem. Im Gegenteil, eine solche Politik führt zur Verschleierung der Ursachen von Armut, da nun nebulöse Begriffe wie „Bettlermafia“ und „Bettelbanden“ alle BettlerInnen unter einen Generalverdacht stellen. Bis heute konnte trotz massiver Recherche der Polizei kein Beweis für die Existenz einer organisierten „Bettelmafia“ erbracht werden, lediglich einzelne Fälle von ausgenutzten Abhängigkeitsverhältnissen wurden bekannt. Unter Sozialwissenschaftlern gilt es als erwiesen, dass diese Begrifflichkeit nichts anderes als ein Kampfbegriff der Rechten ist, dem in der Realität jede Grundlage entbehrt. Bitte hinterfragen sie, ob sie ihre Politik wirklich auf Wörter und Argumente der Rechten stützen wollen.

Was hat die von ihnen propagierte Verschärfung der Bettelgesetze also gebracht? Die Verfolgung und Bestrafung von BettlerInnen hat in Oberösterreich zu einem menschenrechtlichen Ausnahmezustand geführt. Besonders die Lage der Armutsreisenden hat sich dramatisch verschärft. Sie bereichten von regelmässigen Beschimpfungen, Gewalt und massiver Repression durch die Sicherheitsbehörden. Die Möglichkeit der Bestrafung von Bettelns, die sie gemeinsam mit der ÖVP und der FPÖ durch die letzte Verschärfung des Sicherheitspolizeigesetzes bewusst herbeigeführt haben, wird von den Sicherheitsorganen exzessiv ausgenutzt. BettlerInnen, die mehrmals pro Tag einen 100 € Strafschein bekommen, sind die Regel, nicht die Ausnahme. Dies führt entweder dazu, dass sie noch mehr betteln müssen, um die Strafe zu bezahlen. Oder dass sie sich Geld ausborgen müssen und damit in Abhängigkeitsverhältnisse rutschen. Oder dazu, dass sie Haftstrafen antreten oder ohne Einkommen abreisen müssen. Nichts davon hilft ihnen in irgendeiner Weise, ihrer Armut zu entkommen. Eine zusätzliche Dimension ergibt sich noch dadurch, dass die Sicherheitsbehörden nach unserern Erfahrungen gezielt ausländische BettlerInnen verfolgen, besonders Menschen aus der Gruppe der Roma und Sinti. Es handelt sich hier um nichts anderes als um strukturellen Rassismus und strukturellem Antiziganismus.

Besonders Mütter mit Kinder werden massiv durch die derzeitige Gesetzeslage belastet, die das Betteln mit Kindern verbietet. Was auf den ersten Blick im Sinne des Kindeswohl nachvollziehbar klingt, ist aber kurz gedacht. Denn ohne Verwandte und ohne Kinderbetreuungsmöglichkeiten stehen die Frauen vor der Wahl, entweder ihr Kinder zum Betteln mitzunehmen, oder diese alleine am Stadtrand in ihren Zelten oder in den Abbruchhäusern, in denen sie leben müssen, zurückzulassen. Wie würden sie in dieser Lage handeln, wenn sie ein einjähriges Kind haben? Das ist keine Polemik: Das ist die Realität, die wir in der Bettellobby OÖ im Umgang mit den Betroffenen ihrer Politik sehen müssen.

Die zweite Ebene ist eine politisch-strategische: Denn vor fünf Jahren hat sich die SPOÖ noch deutlich gegen Bettelverbote ausgesprochen und sogar durch die Zivilgesellschaft angespornt eine Verfassungsklage eingebracht. Das wenige Jahre später eine Kampagne der Kronenzeitung ausreicht, dass die SPOÖ binnen 14 Tage eine 180 Gradwendung durchführt und sogar selbst die massive Verschärfung der Bettelgesetze vorantreibt, war für mich und viele in der Zivilgesellschaft ein massiver und nachhaltiger Schock.

Eine sozialdemokratische Partei, die nicht im Stande ist, soziale Antworten auf soziale Probleme zu finden, wird untergehen. Das haben wir in Griechenland, in Spanien und in Großbritannien gesehen. Wenn sie vermeiden wollen, als Kleinpartei zu enden, dann müssen sie wieder anfangen, ihre eigenen Grundsätze ernstzunehmen und sie zur Grundlage ihres Handelns zu machen.

Ein erster Schritt wäre die sofortige Abkehr von allen Bettelverboten. Wenn sie diesen Weg einschlagen, dann esse ich gerne auch ein halbes Brathendl mit ihnen.

Freundschaft!
Thomas Diesenreiter