Mama, der Mann mit der Zensur ist da

Der folgende Artikel ist in der Märzausgabe der KUPF-Zeitung erschienen:

Wie politisch Kunst sein darf, sein muss oder es doch nicht sein sollte, ist seit ehedem ein beliebtes Streitthema unter KünstlerInnen und Kulturschaffenden. Ob Kunst mit politischem Anspruch oder Politik mit den dem Mitteln der Kunst, die Grenze zu ziehen fällt oft schwer, ist meist aber auch müßig. Der israelische Künstler Ronen Eidelman meinte dazu vor kurzem: “Zieht man als Künstler eine deutliche Grenze, sichert man sich durch die Autonomie der Kunst ab, geht aber das Risiko ein, ihr die Effektivität zu nehmen. (…) Wer auf dem Autonomiestatus der Kunst beharrt, macht ihre Rezeption und Bewertung vorhersehbar.”

Dass die Rezeption von Kunst mit politischem Anspruch daher oft anders ausfällt, als man erwartet, zeigt der jüngste Zensurvorfall in Tirol. Dort existiert unter Leitung der KUPF-Schwesterorganisation TKI – Tiroler Kulturinitiativen – ein dem oberösterreichischen Innovationstopf ähnliches Fördermodell namens TKI Open. 2011 rief die TKI unter dem Motto „kein thema“ auf, Projekte zu realisieren, die in der öffentlichen Wahrnehmung kein Thema waren, aber eines werden sollten. Eine von der TKI eingesetzte, politisch unabhängige Jury entschied sich für die Förderung von sieben Projekten. Doch zwei dieser Projekte schienen der ÖVP Kulturlandesrätin nicht ins politische Konzept zu passen. Die Förderung von Oliver Resslers „Wahlen sind Betrug“ und Tal Adlers „Alpenländische Studien“ wurde abgelehnt.

In offiziellen Stellungnahmen wurde mit formalen Gründen für die Ablehnung argumentiert, in persönlichen Gesprächen auch mit inhaltlichen. Und zwar durchaus dreist: „Die Arbeit kann nicht gefördert werden, da der Text auf dem Plakat falsch ist.“ hieß es zu Resslers Arbeit. Er wollte den 68er Slogan „Wahlen sind Betrug“ über einem Alpenpanorama großflächig in der Innsbrucker Innenstadt plakatieren. Tal Adlers Projekt sollte sich dem Umgang der TirolerInnen mit der NS-Vergangenheit widmen, auch dieses wurde mit windigen Argumenten zuerst abgelehnt. Nach einer ersten, breiten Protestwelle signalisierte das Land bei Tal Adlers Projekt Verhandlungsbereitschaft, eine schriftliche Förderzusage gibt es aber bis heute nicht. Zu Resslers Projekt möchte man sich lieber gar nicht mehr äußern.

Was bleibt nun nach diesem zweiten großen Zensurvorfall in der österreichischen Kulturlandschaft innerhalb von zwei Jahren? Werden die Vorfälle Innovationstopf 2010 und TKI Open 2011 weiter Schule zu machen? Warum hat der zivilgesellschaftliche Protest in beiden Fällen nicht gereicht, um die Entscheidungen rückgängig zu machen? Die Tiroler Kulturrätin verkündete, dass nicht alles, „was Kunst zu sein beansprucht, auch gefördert werden kann. Die Entscheidung darüber ist gerade aus demokratiepolitischen Gründen der Politik vorenthalten, auch wenn Expertinnen und Experten anderer Meinung sind.“ Ist die demokratische Kulturförderung damit am Ende, wenn die Freiheit der „unabhängigen“ Jurys dort endet, wo die politischen ReferentInnen die Linie ziehen?

Nein, natürlich nicht. Fördersysteme wie TKI Open, LINZimPULS oder KUPF Innovationstopf werden zurecht auch international als innovative Erfolgsmodelle gesehen. Allerdings hat die Kulturszene in der Vergangenheit zu sehr auf die Handschlagqualität der Politik vertraut. Die genannten Beispiele sind im unterschiedlichen Maße vertraglich geregelt, alle drei sehen lediglich ein Vorschlagsrecht der Jury an die politischen ReferentInnen vor. Um politische Einflussnahme in Zukunft zu verhindern braucht es meiner Meinung nach klare und strikte Regeln. Die drei wichtigsten werden lauten:

  1. Die Auswahl des Themas geschieht ausschließlich durch die Trägerorganisation.
  2. Die Auswahl der Jury bleibt der Trägerorganisation überlassen, die Gebietskörperschaft hat lediglich einen Beobachtungsstatus.
  3. Die Auswahl der Projekte bleibt der Jury überlassen und ist rechtlich bindend.

Darüber hinaus ist natürlich für eine möglichst transparente und demokratische Abwicklung zu sorgen, durch offene Jurysitzungen oder auch offenen Themen- und Jurywahlen wie es beim Linzer Impulstopf seit Jahren erfolgreich praktiziert wird. Nur wenn es gelingt, diese Eckpunkte vertraglich zu vereinbaren, kann in Zukunft Zensur und Einflussnahme ausgeschlossen zu werden.

Und eines ist klar: Die Zukunft der Demokratie wird mehr und mehr solche und ähnliche Fördermodelle hervorbringen. Unter dem Begriff BürgerInnenhaushalte lassen alleine in Deutschland schon mehr als 100 Kommunen ihre BürgerInnen über Teile der Mittelvergabe direkt mitbestimmen. Damit das in auch Österreich funktioniert, müssen aber wohl einige PolitikerInnen noch eine paar Stunden Demokratieunterricht nachholen.

C’est de la censure.

...wäre Magritte in Tirol geboren...

„Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei.“ (Staatsgrundgesetz, Artikel 17a , BGBl. Nr. 262/1982).

Die Freiheit der Kunst endet in der Realität dort, wo die Künstler zu schwach sind, sich über Begrenzungen hinwegzusetzen.Der israelische Künstler Ronen Eidelman hat vor kurzem in einem Interview mit der Jungleworld folgende schöne Gedanken über den Umgang der Grenze zwischen Kunst und Politik geäußert: „Zieht man als Künstler eine deutliche Grenze, sichert man sich durch die Autonomie der Kunst ab, geht aber das Risiko ein, ihr die Effektivität zu nehmen. (…) Wer auf dem Autonomiestatus der Kunst beharrt, macht ihre Rezeption und Bewertung vorhersehbar.“ Es kommt also darauf an, sich der Grenzen bewusst zu sein, diese aber gleichzeitig zu verwischen und dadurch zu erweitern. Dadurch sind noch Grenzverstöße möglich, wie ich 2010 selbst erleben musste, als die Landeskulturdirektion auf Grund von Interventionen der FPÖ eine Projektförderzusage an mich zurückzog. Die Begründung? „Es handelt sich nicht um Kunst“. Die Folge? Eine Halbierung des KUPF-Innovationstopfs, aus dem das Projekt hätte gefördert werden sollen.

Schon damals habe ich befürchtet, dass das Beispiel Schule machen wird, und jetzt ist es soweit. Das Land Tirol hat die Förderung zweier Projekte im Rahmen des „TKI-Openabgelehnt, nach dem diese von einer unabhängigen Jury zur Förderung empfohlen wurden.

Eines davon hieß „Wahlen sind Betrug“, eingereicht vom Künstler Oliver Ressler, der Plakate wie dieses in der Öffentlichkeit aufhängen wollte:

Die Begründung der Tiroler Kulturdirektion:

Die Arbeit kann nicht gefördert werden, da der Text auf dem Plakat falsch ist.

Es sagt viel über den Zustand der Demokratie eines Landes aus, wenn Personen mit einem solchen Kunstverständnis und -kenntnis über Wohl und Wehe der Kunst- und Kulturschaffenden entscheiden dürfen. Denn diese Entscheidung ist nicht nur haarsträubend dumm, sondern in meinen Augen ein klarer Verfassungsbruch. Ich empfehle meinem Kollegen den Gang vor den Verfassungsgerichtshof, auch wenn es traurig ist, dass man im Österreich des dritten Jahrtausends noch um die grundlegende Freiheit der Kunst kämpfen muss.

Doch man kann diesen Skandal auch als Chance wahrnehmen: Als Chance, wieder einmal grundlegend über die Ziele österreichischer Kultur- und Kunstförderung zu diskutieren. Denn das sich diese in den letzten Dekaden hauptsächlich auf die Etablierung touristisch verwertbarer Formate und Institutionen gerichtet hat, ist kein Geheimnis. KünstlerInnen, brecht aus euren Gefängnissen aus, raus aus den Museen, raus aus den Festspielen, raus aus den Kulturgroßevents! Baut autonome Strukturen auf, erkämpft euch die Unabhängigkeit und verteidigt sie mit Zähnen und Klauen gegen jene, die eure Kunst nur so lange dulden, wie sie euch am Gängelband wissen und kontrollieren können. Zeigt den Willen, nicht nur über die Gesellschaft zu reflektieren, sondern diese auch aktiv zu gestalten.

Übrigens, das zweite Projekt, dessen Förderung abgelehnt wurde? Eines, das sich mit der NS-Vergangenheit Tirols auseinandergesetzt hätte. Wen wunderts, in einem Land, in dem Partys von Rechtsextremen als Weltkulturerbe gelten?

Netztrip #2 – Schwerpunkt Sexualität

In dieser Rubrik gibts in Zukunft Links zu interessanten Texten, Bildern und Videos. Heute mit einem Schwerpunkt zu Sexualität:

1. Disappearance

Ein ausgezeichnetes Essay von Roger Friedland über die Rolle der weiblichen Schambehaarung in der westlichen Sexualmoral. Der geschichtliche Bogen reicht von Goyas berühmten Bild La Maja Desnud aus dem 18. Jahrhundert, über die sexuelle Revolution der 1960er, über die ersten Softporno-Magazine bis hin zur Hardcore-Pornografie der Jetztzeit und den Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung junger Frauen auf ihre Sexualität.

2. Labiaplasty Hungry Beast

VIDEO – Die australischen Zensur-Stellen erlauben seit vielen Jahren in den Medien nur das Zeigen einer einzigen Art weiblicher Schamlippen. Diese Sexualnorm hat dazu geführt, dass immer mehr australische Frauen ihre Schamlippen operativ an die angebliche gesellschaftliche Norm anpassen.

3. The evolution of disgust

AUDIO – Die wissenschafltiche Lehrmeinung ging bisher von vier verschiedenen Arten von Abscheu aus. Eine neue Studie kommt zu dem Schluß, dass es nur drei Grundarten von Ekel gibt: Moralische Abscheu beschützt die Gesellschaft, (zb. vor Diebstahl und Betrug), pathogener Ekel beschützt den Körper vor Ansteckungen (zb. vor Dreck, Blut, tote Körper, etc.) und Sexuelle Abscheu hat eine evolutionärstechnische Funktion: Sie soll verhindern, dass wir unsere sexuelle Energie mit nicht-idealen PartnerInnen verschwenden, beispielsweise durch das Ekeln vor Sex mit nahen Verwandten. Der fünf-minütige Podcast gibt eine gute und klare Zusammenfassung der Forschungsergebnisse.

4. Women’s sex-strike ends civil war

VIDEO – Zwei Dörfer auf der Insel Mindanao, Teil der Philippinen, führen seit mehreren Jahren einen sinnlosen Bürger(!)krieg gegeneinander. Doch als die Frauen den männlichen Kämpfern Sex verweigern, kehrt innerhalb kürzestes Zeit Frieden ein.

5. SlutWalk der Botschaften

Nach Occupy Wallstreet zeigt die nächste zivilgesellschaftliche Bewegung das irre Tempo, mit dem sich ziviler Protest heute um die ganze Erde ausbreiten kann. Nach den erstem SlutWalk im kanadischen Toronto im April dieses Jahres sind mittlerweile weltweit, von Deutschland, Österreich bis nach in Indien mehrere tausend Menschen bei den SlutWalks auf die Straße gegangen. Im Kern geht es um eine alte feministische Forderung, die leider noch immer aktuell ist: Dass das Aussehen einer Frau keine Entschuldigung für sexuelle Gewalt ist. Diestandard.at hat eine schöne Bildergalerie vom gestrigen SlutWalk Vienna erstellt.

6. Comic des Tages: Nedroid.com
Fixpunkt im täglichen Medienkonsum: Subtiler Humor vom Feinsten!