Europaweit erstarken seit einigen Jahren rechte und rechtsextreme Strömungen wie schon lange nicht mehr. Bei der Bestimmung der Ursachen gibt es in den fortschrittlichen Teilen der Linken zu großen Teilen Übereinstimmung: Trotz einem quantitativen Anstieg des Wohlstands haben stetig wachsende Teile der Gesellschaft existentielle Angst vor Armut, Abstieg und Ausschluss. Genau diese Angst kapitalisieren rechte Populisten , in dem sie einfache Antworten auf schwierige Sachverhältnisse bieten. Dabei werden die Rechten durch ein unterfinanziertes Bildungssystem unterstützt, das sich zudem heute über weite Teile auf die Berufs-Ausbildung denn auf die Bildung mündiger und kritischer Menschen konzentriert. Hand in Hand damit geht über weite Strecken eine Medienlandschaft, die heute zwar nicht mehr oder weniger kommerziell als vor 100 Jahren ist, aber durch die exponentiell gestiegene Vielfalt des Medien- und Kulturangebots in einer Abwärtsspirale im Kampf um die mehr und mehr geteilte Aufmerksamkeit gefangen ist. Auch die zunehmende Mechanisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt und die dadurch entstehende Verknappung von Arbeit befeuert den Abstiegskampf, den mehr und mehr Menschen heute kämpfen müssen.
Nun gibt es hunderte Konzepte und Ideen, wie eine bessere Bildungspolitik aussieht. Eine mutige Medienpolitik wird die Inseratschleusen zu den Boulevardmedien schließen und stattdessen Qualitäts- und selbstorganisierte Medien unterstützen. Eine Verkürzung der Arbeitszeit und die Einführung einer Maschinen- oder Kapitalsteuer sorgt für eine gerechte Verteilung von Arbeit und damit Einkommen. All das würde langfristig den Rechten die Grundlage ihrer Erfolge rauben.
Aber warum werden diese lösbaren Probleme nicht gelöst? Warum schaffen es die Rechten immer und immer wieder, Diskurse maßgeblich zu besetzen und zu steuern, während linke Ideen nur in Fachkreisen und kleinen Elitezirkeln diskutiert werden?
Sehen wir uns diese Fragestellung strategisch an. Viele Diskurse der Linken scheitern daran, dass sie nicht auf Länder oder gar Kommunalebene greifen, während die vermeintlichen Lösungen der Rechten sowohl emotional als auch sachlich nahe an den Menschen sind. Beispielsweise hat der Anstieg von BettlerInnen aus anderen EU Ländern dazu geführt, dass in vielen Ländern und Städten gegen jede Vernunft restriktive Bettelverbote durchgesetzt wurden. Die Rechten schaffen es, oft in Kooperation mit dem Boulevard, zuerst die Stimmung aufzuheizen, um sich dann nach einem Einknicken der Konservativen sowie leider oft der Sozialdemokratie als Retter feiern zu lassen. Es entstand ein internationales Wettrennen der Inhumanität, in dem BettlerInnen (oft Rom und Sintis) von einem Land ins Nächste, von einer Stadt in die Nächste, vertrieben werden, wo freilich die nächsten rechten Hetzer warteten und die nächsten Linken daran verzweifeln, sinnvollere politische Ansätze zu vermitteln. Eine vernünftige Politik würde dafür sorgen, die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern zu verbessern, darauf weisen viele AktivistInnen seit Jahren hin. Das würde freilich Solidarität und ein gemeinsames Vorgehen über die Staatsgrenzen hinweg erfordern, das weit und breit nicht in Sicht ist.
Das Gleiche kann prinzipiell auch über die aktuelle „Asylkrise“ gesagt werden, die vielmehr ein Versagen der politischen Linken darin darstellt, sich der Angstpropaganda der Rechten und Konservativen wirkungsvoll entgegenzustellen. Auch hier bräuchte es eine supranationale Perspektive und internationale Politik, statt sich in endlose Debatten zu verstricken, welches Land nun welche Quote erfüllt oder nicht. So wird die Bühne von PolitikerInnen wie der österreichischen Innenministerin oder dem ungarischen Premierminister besetzt, die wechselweise künstlich die realen und symbolischen Probleme verschärfen, in dem sie Grenzkontrollen einsetzen, Zelte aufbauen oder Asylverfahren stoppen und so eine fremdenfeindliche Stimmung vorantreiben.
Das strategische Problem ist meiner Meinung nach also in einem grundsätzlichen Übel zu finden: Die überholte Konstruktion des Nationalstaats. Dies spiegelt sich in Europa maßgeblich in zwei Facetten wieder:
1) Es gibt einen Mangel an Demokratie und demokratischer Legitimierung der EU und ihrer obersten Gremien: Das EU Parlament als einzig direkt gewähltes Gremium hat zwar über weite Strecken großartige PolitkerInnen, aber zuwenig Kompetenzen. Die nicht gewählte EU Kommission fungiert als Regierung ohne Kontrolle und ist in einem hohen Maße von der Wirtschafts- und Industrielobby gesteuert. Der europäische Rat ist schließlich durch seine föderale Konstruktion in Vertretung der Nationalregierungschefs nicht fähig, auf das Gesamte zu blicken. Um dies zu ändern braucht es einen neuen EU Vertrag – kein Honigschlecken, aber machbar. Eine sowohl reale als auch symbolische Entmachtung der Nationalstaaten muss daher Hand in Hand mit einer radikalen Aufwertung des EU Parlaments geschehen. Dieses muss wie es einer Demokratie gebührt als oberstes demokratisches Gremium die EU Kommission bestellen und mit umfangreichen Resourcen und Rechten ausgestattet auch kontrollieren. Gleichzeitig muss es eine gemeinsame Anstrengung geben, diesem neuen Europa auch eine neue Vision voranzustellen. was uns zur zweiten Facette des nationalstaatlichen Problems bringt:
2) Die zersplitterte Kompetenzaufteilung innerhalb der EU: Während auf EU Ebene die Spielregeln der Wirtschaft und der Finanzierungspolitik beschlossen werden, sind die Nationen weiterhin für alles gesellschaftspolitisch Relevante wie Soziales oder Kultur zuständig. Ein gemeinsamer Wirtschafts- und Währungsraum kann aber nur funktionieren, wenn es auch einen gemeinsamen Gesellschafts- und also Sozialraum gibt. Das mag angesichts der Unfähigkeit des österreichischen Systems, ein paar Zehntausend AsylwerberInnen zu versorgen und gerecht aufzuteilen, illusorisch klingen. Aber natürlich ist ein solches Projekt nicht von Heute auf Morgen zu stemmen, sondern muss über Jahrzehnte gedacht werden. Der erste EKGS Vertrag zur Bildung der Montanunion wurde 1951 mit einer Laufzeit von 50 Jahren abgeschlossen. Das tatsächliche Zusammenwachsen des europäischen Wirtschaftsraums, dass wir heute in Form einer Vielzahl von Verordnungen und Harmonisierungen beinahe wöchentlich erleben, ist eine direkte Folge dieses ersten EKGS Vertrags. Nichts hindert die europäischen Kräfte daran, mit ebensolchen Weitblick einen neuen EU Vertrag in Angriff zu nehmen. Dieser sollte schrittweise die gesamte Verantwortlichkeit auf europäischer Ebene bündeln und so für eine Europa zu sorgen, in dem nicht nur den Firmen, sondern auch allen Menschen die gleiche Rechte und Chancen zustehen.
Damit moderne linke Politik wirkmächtig wird, braucht es also nicht nur inhaltliche Konzepte, sondern auch Strategien für deren Umsetzung. In der gegenwärtigen Konstruktion Europas als Mischform von Nationen einerseits und einem demokratisch mangelhaften EU Apparat können sich linke inhaltliche Diskurse offensichtlich nur schwer durchsetzen. Daraus müssen wir den Schluss ziehen, dass die Zukunft linker Politik darin liegen muss, verstärkt auf internationaler Ebene Strukturen aufzubauen und die nationalen Strukturen schrittweise zu überwinden. Die Zukunft Europas liegt also in der Stärkung einer europäischen Idee des grenzenlosen, solidarischen Handelns.
bistdudeppat bistdugscheid.
;] lG aus Wien & weiter so!