Offene Fragen zum Brucknerhaus Skandal

Der künstlerische Intendant der LIVA, Dietmar Kerschbaum, wurde heute vom Aufsichtsrat der LIVA freigestellt. Ich habe mir die PK des Bürgermeisters angesehen. Folgende Fragen sind für mich offen:

1. 14 Tage, nachdem Luger über den Verdacht der Schiebung der Vergabe und die weiteren groben Verstöße durch den Whisteblower informiert wurde, hat es eine LIVA-Aufsichtsratssitzung gegeben – genau am 15. Dezember. In dieser Sitzung hat Luger bewusst darauf verzichtet, die anderen Mitglieder über die aufgetauchten Ungereimtheiten zu informieren. Er begründet das damit, dass das Gremium – der gesellschaftsrechtliche Aufsichtrat! – nicht vertrauenswürdig sei. Das ist erstens eine erstaunliche Feststellung und zweitens meiner Meinung nach keine mögliche Ausrede, warum die Informationspflicht nicht mehr gilt. Hätte es den Falterbericht nicht gegeben, wäre dann der Aufsichtsrat nie darüber informiert worden? Was mich wundert: Warum protestieren Die Grünen Linz und die ÖVP Linz und die anderen Aufsichtsratsmitglieder nicht gegen diese Aussage? Was ist die Konsequenz, wenn ein Bürgermeister feststellt, dass ein Kontrollorgan nicht mehr vertrauenswürdig sei? Müsste es dann nicht aufgelöst werden?

2. Laut Luger soll ein Rechtsgutachten ergeben haben, dass es keine strafbare Handlung war, die Fragen vorab zugespielt bekommen zu haben. Wohl aber war es strafbar, diese Fragen Kerschbaum zuzuspielen. Kerschbaum kannte genau zwei Personen des Auswahlgremiums persönlich, der mögliche Kreis der Verdächtigen ist also klein. Welche Form der Ermittlungen wird es geben, um herauszufinden, wer ihm die Fragen zugespielt hat? Wird das Magistrat intern ermitteln? Wenn es strafrechtlich relevant ist, wird eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft von der Stadt eingebracht? Es gibt hier Zeugen zu befragen und Beweismaterial auszuwerten.

3. Selbst wenn es vertraglich zulässig gewesen wäre, dass Kerschbaum am eigenen Haus nochmal extra für Auftritte kassiert: Dass er sowohl für sich als auch seine eigene Frau die 25-fache Gage im Vergleich zum am selben Tag auftretende andere Künstler auszahlen hat lassen, ist meiner Meinung nach potentiell auch strafrechlich relevant, weil es einfach eine eindeutige Überbezahlung darstellt. (Es gilt die Unschuldsvermutung). Warum wurde das heute bei der PK als nebensächlich dargestellt?

4. Wer klärt die Vorgänge rund um das „Internationale Kultur- & Wirtschaftsforum Linz“, kurz IKW Linz, auf? Das ist ein eigenständiger Verein, der aber den Sitz im Brucknerhaus hat, seine Website ist ein Eintrag auf der Brucknerhaus-Website, es hat eine Mailadresse ikw@liva.linz.at und im Aufsichtsrat sitzen sowohl Kerschbaum selbst als auch Mitarbeiter der LIVA. Das IKW Linz hat bei Veranstaltungen Sponsorengelder eingesammelt – was ist mit diesen Geldern passiert? Welche Geldflüsse gab es zwischen dem Verein und dem Brucknerhaus, welche zwischem dem Verein und Kerschbaum? Auch hier braucht es Transparenz – nur wer kann für diese Sorgen? Denn das Kontrollamt hat hier natürlich kein Einblicksrecht. Welche Schritte unternimmt hier die Stadt? Eine Kontoöffnung könnte auch hier nur die Staatsanwaltschaft erreichen.

Zum Brucknerhaus Desaster (inklusive Kontrollamtsbericht)

2016 habe ich einen Beitrag dazu geschrieben, dass das Brucknerhaus Linz neu gedacht werden muss. Anlass war der Abgang von Hans-Joachim Frey und der damals schon nicht gute Zustand des Hauses. Auf mich hat man leider nicht gehört – wenig überraschend. Es wurde einfach der nächste Blender engagiert. Unter sehr dubiosen Umständen, wie wir seit gestern dank des Falters wissen, und wo noch einiges aufzuklären bleibt.

Kerschbaums Zeit am Brucknerhaus wird wohl Ende der Woche schon Geschichte sein, es werden aber auch noch politische Konsequenzen folgen müssen. Wie etwa, wer genau Herr Kerschbaum die Fragen der Jury vorab zukommen ließ. Oder wer dafür gesorgt hat, dass als „unabhängige Expertin“ in der Auswahlkommission ausgerechnet eine Kerschbaum nahestehende Person verpflichtet wurde, die sich dann auch in der Sitzung massiv für ihn aussprach. Es deutet alles darauf hin, dass schon lange vor der Ausschreibung Kerschbaum als Fixkandidat gesetzt war. Vielleicht zahlt es sich als Journalist auch aus, einmal bei Hans-Joachim Frey nachzufragen, wie sein Abtrittsgespräch gelaufen ist.

Lohnenswert wäre es ebenso, die Vorgänge und Geldflüsse rund um das Festival Lido Sounds zu durchleuchten – auch hier gibt es eine ähnliche Konstellation mit einer externen Agentur, die städtische Ressourcen zum eigenen Vorteil nutzen konnte. Hat davon Kerschbaum auch persönlich profitiert?

Unter Kerschbaum ist es im Brucknerhaus noch weiter bergab gegangen, wie der Kontrollamtsbericht zeigt. Leute, die den Betrieb kennen, erzählen wilde Geschichten von Zuständen, die überall anders undenkbar wären. Wer Entscheidungen Kerschbaums kritisiert hat, musste mit Problemen rechnen, Kündigungen und Versetzungen wurden ausgesprochen. Viele gute Leute haben in den letzten Jahren das Haus verlassen, mittlerweile muss man immer stärker ganze Projekte und Produktionen auslagern. Das kostet und ist wohl eine weitere Ursache für das explodierende Minus des Brucknerhauses. Dass Kerschbaum dann die komplette Programmplanung an eine externe Künstleragentur ausgelagert hat, die dann einfach ihre eigenen Leute bucht, ist wohl folgerichtig und ebenso folgenschwer. So führt man keinen öffentlichen Kulturbetrieb.

Angesichts der massiven und immer dramatischeren Auslastungsprobleme gilt das, was ich 2016 geschrieben habe, um so mehr: Das Brucknerhaus muss komplett neu gedacht werden, vielleicht auch umgebaut werden. Ich warne die Linzer Spitzenpolitik davor, nichts aus den Episoden Frey und Kerschbaum zu lernen und einfach den nächsten Blender zu engagieren, der wieder das Blaue vom Himmel verspricht. Und man weiterhin zulasten der Popularkultur, zulasten des Posthofs und zulasten der freien Szene ohne Konzept Geld in einen Betrieb ohne zukunftstaugliche Strategie pumpt.

Nächste Woche feiert das Brucknerhaus sein 50-jähriges Bestehen mit einen großen Festakt. Das verhagelte Jubiläum sollte man statt zu feiern dazu nutzen, darüber nachzudenken, welche Rolle das Haus die nächsten 50 Jahre im Linzer Kulturuniversum spielen soll.

Der Kontrollamtsbericht

Zuletzt veröffentliche ich hier noch den Kontrollamtsbericht zur LIVA, da ich finde, dass die breite Öffentlichkeit das Recht hat, diesen zu lesen. Öffentliche Einrichtungen wie das Brucknerhaus, der Posthof und die anderen Unternehmen der LIVA gehören uns allen, der Allgemeinheit. Wir finanzieren sie auch und haben ein Recht zu wissen, wie gut oder eben schlecht sie funktionieren. Generell gehört geändert, dass die Berichte des Linzer Kontrollamts nicht veröffentlicht werden – bei Berichten des Bundesrechnungshofs und der Landesrechnungshöfe ist die Veröffentlichung schon lange eine Selbstverständlichkeit. Das wäre auch im Interesse der Politik und Verwaltung, denn viele Kontrollamtsberichte stellen der Linzer Verwaltung auch gute Noten aus. Dem Brucknerhaus aber eben nicht:

Warum das Brucknerhaus neu gedacht werden muss

Was mich im Kulturbereich immer wieder verwundert, ist, warum in den großen Häusern noch viel zu oft die Leitung Menschen in die Hand gegeben wird, die man als Blender bezeichnen kann. Hans Joachim Frey, derzeit Chef der LIVA und des Brucknerhauses, kann man auch zu diesen zählen. Seine letztes Engagements in Deutschland im Bremer Theater endete als teures Desaster.  Er hinterließ der Stadt einen Schuldenberg von mehr als 4,3 Millionen €, bei einem Budget von 26 Millionen eine beachtliche Summe. Der Bremer Bürgermeister hat die deswegen erfolgte Prüfung der Amtszeit von Frey so zusammengefasst: „Es gab Mängel im Controlling, kein Risikomanagement, das Bestellwesen war nicht organisiert, gegen Beschlüsse des Aufsichtrats wurde verstoßen. In Summa: Es gab keine geordnete Geschäftsführung.“

Nichtsdestotrotz holte ihn die Stadtpolitik nach Linz. Kritische Stimmen wurden ignoriert, zu groß waren die Versprechen, die er der Stadt präsentierte. Es ging darum, dem Musiktheater des Landes OÖ Paroli zu bieten, denn die öffentlichen Kulturinstitutionen wurden ein weiterer Austragungsort der Konkurrenz zwischen der roten Stadt und dem schwarzen Land. HJ Frey hat anfangs das Blaue vom Himmel versprochen, eine Neuerfindung Bruckners, den Ausbau der traditionellen Schienen und viele, viele tolle Neuerungen. Dafür hat ihm die Stadt anfangs auch zusätzliche Geldmittel zugesprochen und ihm ein stolzes Jahr Einarbeitungszeit parallel zu seinem Vorgänger Wolfgang Winkler gewährt.

Foto: Ars Electronica: CC BY NC https://www.flickr.com/photos/arselectronica/7920636722/

Foto: Ars Electronica: CC BY NC https://www.flickr.com/photos/arselectronica/7920636722/

Wenige Jahre später sieht das Ergebnis ernüchternd aus: Das Linzer Kontrollamt hat einen vernichtenden Bericht zum Brucknerhaus vorgelegt. Die Auslastungszahlen sind weiter abgestürzt, das Management ist mangelhaft, die unzähligen Nebentätigkeiten Freys in Russland seien vertraglich nicht gedeckt. Die Positionierung am Veranstaltungsmarkt funktioniere offensichtlich nicht mehr, die Einnahmen sind gesunken, die Ausgaben gestiegen. Die Rücklagen der LIVA in Höhe von 2,8 Millionen € wurden unter Frey in wenigen Jahren (in Abstimmung mit dem Aufsichtsrat) komplett aufgezehrt. Neben dem Koloss Musiktheater, mit riesigen Summen aus dem Kulturbudget des Landes bedacht, kann das kleine Brucknerhaus nicht bestehen.

Es ist gut, dass Frey nun den Platz räumt. Bevor der oder die Nächste mit dem Versprechen antritt, den ungleichen Kampf gegen das Musiktheater aufzunehmen, sollten wir nun aber die Chance nutzen, über eine Neuausrichtung des Brucknerhauses zu sprechen. Der Kampf gegen das Musiktheater und das Land OÖ ist aussichtslos. Es fehlen schlicht die KulturkonsumentInnen, um beide hochkultur- und bürgerlich orientierten Häuser auf Dauer mit den vorhandenen Resourcen auszulasten.

Was soll Linz nun also tun?

Linz war immer stark, wenn es sich auf progressive Kunst und Kultur stürzte. Die Ars Electronica, die freie Szene und die Kunstuniversität waren und sind die maßgeblichen Impulsgeber der kulturellen Entwicklung der Stadt. Die Stadt könnte Mut fassen, dem Land OÖ das bürgerliche, traditionelle Kulturfeld und die klassische Musik überlassen und sich auf ihre Stärken besinnen. Es steht nirgends geschrieben, dass das Brucknerhaus nicht auch für andere Nutzungen taugt. Die junge Kunst- und Kulturszene könnte in diesem Haus eine riesige Experimentierfläche vorfinden, andere Musikarten aus dem Clubbereich (oder gar selbst ein Club) könnten in dem Haus Platz finden. Das dies funktionieren kann, beweist im Übrigen Jahr für Jahr das Ars Electronica Festival. Auch  Ausstellungsflächen könnten im Brucknerhaus Platz finden, gemeinsam mit Ateliers und Produktionsflächen. Das Brucknerhaus verfügt derzeit über ein nicht kleines Budget, mit dem man im progressiven Kunst- und Kulturbereich einen großen Schritt nach vorne machen könnte. Nebenbei könnte man wohl locker das Salzamt geöffnet lassen, wenn man ein paar Prozent bei den Ausgaben einspart

Linz als urbane, progressive Kulturstadt zu positionieren wäre ein klügerer Anspruch, als der aussichtslose Versuch, den bürgerlichen Kulturbegriff zu imitieren. Das Brucknerhaus hat abgesehen von der Klangwolke nie erfolgreich die Bevölkerung in ihrer Breite ansprechen können. Besonders Junge und MigrantInnen waren selten gesehen Gäste, auch das aus sozialdemokratischer Sicht wichtige ArbeiterInnenmilieu konnte nicht gelockt werden. Wichtig ist festzuhalten, dass das derzeitige Konzept des Brucknerhauses als Ganzes offensichtlich gescheitert ist. Dies liegt nicht nur an der Person des Hans Joachim Frey, seine kurze Amtszeit hat dieses Scheitern aber greifbar gemacht.

Freys Abgang öffnet nun die Chance, eine zukunftsgewandte Ausrichtung des Brucknerhauses und der Stadt Linz als Ganzes zu diskutieren. Bleibt nur zu hoffen, dass die Linzer Stadtpolitik beginnt, sich wieder für einen offenen, kulturpolitischen Diskurs zu interessieren. Denn derzeit muss man leider attestieren, dass dieser inexistent ist, Stichwort LinzFest, Salzamt, Medienwerkstatt und die fortwährende Ignoranz des eigenen Kulturentwicklungsplan und des selbstgeschaffenen Stadtkulturbeirats. Sowohl die ÖVP, die den Kulturreferenten stellt, als auch die SPÖ, die Linz als Stadt der Innovation positionieren möchte, würden gut daran tun, den Austausch mit den ExpertInnen der lokalen Kulturszene zu suchen und sich Zeit zu nehmen, ohne Tabus neue Ideen für das Brucknerhaus zu entwickeln.

PS: Frey geht übrigens wenig überraschend nach Russland. Dort wird er für ein „Premiumpublikum“ auf dem Olympiagelände das „größte Kulturzentrum Russlands, wenn nicht sogar Europas“ aufbauen. Gleich 6-7 Festivals in Größe der Salzburger Festspiele soll es geben. Ihm wurde gesagt „wovon man immer träumt: Mach dir erst mal keine Gedanken um Geld und Budget„. Dass Frey dafür sorgte, dass dem jetztigen Auftraggeber Putin 2009 der Dresdner St. Georgs Ordens des SemperOpernballs für den „Kampf für das Gute“ verliehen wurde, hat sich also wohl ausgezahlt.

Und jetzt, Herr Fuchs?

Vor drei Wochen habe ich den ehemaligen stellvertretenden Intendanten der europäischen Kulturhauptstadt Linz09 getroffen, den Kulturmanager Ulrich Fuchs. Die KUPF Oberösterreich hat mich gebeten, mich mit ihm für die aktuelle Ausgabe der KUPF Zeitung über die oberösterreichische Kulturlandschaft zu unterhalten. Es war ein, wie ich meine, recht interessantes und anregendes Gespräch. Weiter unten finden sie gekürzte und komprimierte Textversion der KUPF Zeitung, das Gespräch ist in voller Länge auch im CBA zu hören:

D: Im Verhältnis zwischen Land OÖ und Stadt Linz hatte man in den letzten Jahren den Eindruck, dass es zwischen den Beiden eher um einen Wettbewerb als um Kooperation geht.

F: Wenn ich an den Ausgangspunkt zurückgehe, als Martin Heller und ich 2005 nach Linz kamen, haben wir nach relativ kurzer Zeit begriffen, dass es einen politischen Wettbewerb gibt zwischen Stadt und Land auf vielen Feldern, auch in der Kulturpolitik. Ich finde überhaupt, dass Österreich durch die Konkurrenz von Rot-Schwarz geprägt ist, weitaus mehr als ich das aus Deutschland kannte. Das sage ich jetzt nicht belehrend, es ist einfach eine Feststellung. Was ich in Österreich gelernt habe, war, dass es einen roten und einen schwarzen Kindergarten gibt, das gibt es in Deutschland nicht. Die sozialdemokratischen Kulturpolitiker und ihre schwarzen Pendants haben ein anderes Verhältnis, also ein konkurrenzhafteres und abgrenzenderes. Für einen Kulturkonsumenten ist es aber beispielsweise völlig egal, ob das Brucknerhaus von der Stadt oder vom Land betrieben wird.

Da die Kulturhauptstadt aber ein Auftrag war, der von den drei Gebietskörperschaften (Bund, Land und Stadt) erteilt wurde, war für uns ziemlich schnell klar, falls es da Gegensätze gibt, dass man die schnell überwinden muss. Ich glaube, es ist uns dann auch über den Aufsichtsrat und über die Zusammenarbeit von beiden Seiten gelungen, dass da gewisse Grenzen aufgeweicht wurden.

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D: Stichwort Brucknerhaus und Musikthteater: Gibt es aus einer kulturpolitischen Perspektive einen Bedarf für zwei solche Häuser mit relativ ähnlichem Publikum?

Es war schon von vornherein klar, dass es mit dem Musiktheater nicht einfach sein würde, den richtigen Umgang in Bezug auf das Brucknerhaus zu finden. Die optimale Kooperation zwischen beiden Häusern scheint mir auch bis heute noch nicht gefunden. Das Brucknerfest gleichzeitig mit dem Auftakt zur Spielzeiteröffnung des Musiktheaters und des Landestheaters – das ist eine ungute Konkurrenz.

Man muss bei der Größe beider Einrichtungen sicherlich über die Einwohnerzahl von Linz hinaus denken. Um nur das hiesige Publikum zu bedienen, wären zwei solche großen „Schlachtschiffe“ sicherlich überfordert. Der Einzugskreis muss nach meiner Einschätzung weit über Linz hinausgehen, auch weit über das Bundesland hinaus. Ob das bisher gelungen ist, weiß ich nicht. Linz ist eine untypische Stadt, wenn man an europäische Kultur denkt, so wenig mit dieser bildungsbürgerlichen Tradition behaftet. Für das Brucknerhaus und das Musiktheater müsste das meiner Meinung nach heißen, Formate und auch eine ästhetische Linie zu finden, die so besonders sind, dass man sagt, das bekomme ich in Salzburg nicht, sondern nur in Linz.

Als positives Beispiel möchte ich die Museen in Linz anführen, die sehr gut über die „Grenzen“ von Stadt und Land hinweg zusammenzuarbeiten. Ich glaube auch, dass bei der freien Szene ein Stadt-Land Denken nicht so ausgeprägt ist.
D: Der zweite große kulturpolitische Schwerpunkt des Landes ist neben dem Musiktheater das Landesmusikschulwerk. Ist das deiner Meinung nach eine sinnvolle Investition?

F: Dieses Landesmusikschulwerk ist etwas absolut Einzigartiges in Europa. Ruhr 2010 hat mit dem Slogan geworben: „Jedem Kind ein Instrument“. Da hab ich damals zu den Kollegen in Essen gesagt, dass das in OÖ längst der Fall ist. Vergleichsweise in Europa ist das ein einzigartiger Schatz an frühkindlicher und früh-musikalischer Erziehung, der da aufgebaut wurde. Ich weiß, dass das Landesmusikschulwerk 40 Prozent des Budgets des Landes für Kultur beansprucht. Meiner Ansicht wird das konservativ regierte Land OÖ der sozialdemokratischen Idee von „Kultur für alle“ damit mehr als gerecht – und das auf einem sehr hohen Niveau.

In den Verteilungskämpfen um ein Kulturbudget kann ich nachvollziehen, wenn diejenigen, die nicht aus dem Bereich der musikalischen Pädagogik kommen, sagen, dass ihnen eine andere Verteilung lieber wäre. Aber das ist eine politische Auseinandersetzung um Prioritätensetzungen.

D: In einem Interview zum neuen Kulturentwicklungsplan (KEP) assoziierst du mit Linz „ungenügende politische Konsequenzen“, kannst du das ausführen?

F: Gerade in diesen Tagen sehe ich diese Einschätzung bestätigt. Es ist nicht die Kulturpolitik, die die Frage stellt, wo man nach Linz09 steht, sondern der Tourismus. Und dass der Tourismusverband Linz das Erbe von Linz09 am kreativsten verwaltet, deutet darauf hin, dass die Linzer Kulturpolitik mit dem Erbe von Linz09 nicht genügend offensiv, nicht genügend nach außen tretend umgeht. Aber um es auch klar zu sagen: für Erfolge und Fehlleistungen von Linz09 sind wir alle verantwortlich – die Intendanz, das Linz09-Team und die Linzer Politik.

D: Das nächste große Projekt nach Linz09 war der neue Kulturentwicklungsplan.

F: Ich habe großen Respekt davor, wie sich die Linzer Kulturdirektion und die Kulturszene diesem wirklich schwierigen und partizipativen Prozess gestellt hat. Dass dabei ein so qualitativer Text herausgekommen ist, finde ich beeindruckend. Angesichts der knappen Mittel und der Finanznot in welche die Stadt zum Glück nicht durch Linz09, sondern durch andere Entwicklungen hineingerutscht ist, ist das wirklich hervorragend. Ob es nicht nur ein Plan bleibt, sondern auch umgesetzt wird, das steht auf einem anderen Blatt. Aber dafür seid ihr als Kulturakteure verantwortlich, den entsprechenden Druck aufzubauen.

D: Im Ruhrgebiet wurde mit Urbane Künste Ruhr gewährleistet, dass es nach dem Kulturhauptstadtjahr weitergeht. Genau das ist in Linz aus verschiedenen Gründen nicht in der Intensität passiert, 2010 waren spürbar weniger Ressourcen da.

F: Obwohl wir ja von Linz09 her noch einen beachtlichen Überschuss hatten. 1,3 Millionen, die dann auch sinnvoll verwendet worden sind. An dem Kulturhauptstadtprojekt lag es bestimmt nicht, dass ab dem Jahr 2010 die Spielräume enger wurden, eigentlich im Gegenteil. Im Nachhinein sehe ich es als Fehler, dass die Linz09 GmbH abgewickelt und nicht umgewandelt worden ist, mit völlig anderen Personen an der Spitze und einem neuen Auftrag. Beispielsweise die Entwicklung der Tabakfabrik als Fortsetzung und neue Etappe von Linz09. Mit einer solchen Entscheidung hätte Linz auch international die Nachhaltigkeit der Kulturhauptstadt verdeutlicht,

D: Stichwort nächste Etappe: Du hast 2011 das nach Linz09 zu festigende Bindeglied zwischen Wirtschaft und Kultur in Linz angesprochen, mittlerweile gibt es dafür die Creative Region Linz & Upper Austria.

F: Ich glaube, dass es sinnvoll ist, dass zwischen Kultur und Wirtschaft Verständigungen gesucht werden, die außerhalb des engen (partei-)politischen Feldes liegen. Viele Kulturakteure der freien Szene sind eigentlich auch Unternehmer, Entrepreneurs, die ihre Aktivitäten als Kleinunternehmen betreiben. Manche Kultureinrichtungen sind verselbstständigt und sind unterwegs als GmbH oder in anderen Formen, jedenfalls nicht mehr als nachgeordnete Dienststellen des Landes oder der Stadt. Insofern passt das ganz gut, sich da mit Leuten aus der sogenannten freien Wirtschaft zusammenzuschließen oder Synergien zu suchen.

D: Du hast besonders im Bereich Design und Architektur in Linz Potentiale gesehen, mittlerweile hat sich Linz bei Open Design einen Namen gemacht. Generell scheinen die „Open Everything“ Initiativen ein großer Schwerpunkt von Linz zu werden. Siehst du darin das Potential für jene Internationalität, die ihr von der Szene immer eingefordert habt?

F: Absolut. Das ist genau das, wo Linz sich profilieren muss. Bevor Salzburg überhaupt wusste was „Open Source“ ist, war Linz an dem Thema schon dran. Das ist eine Stärke der hiesigen Szene, sowohl im freien Bereich als auch in den Institutionen wie Lentos, Ars Electronica und Offenes Kulturhaus, gibt es dafür Offenheit und Innovationsgeist.

Ich glaube, dass sich Linz international aktiver zeigen und deutlicher machen sollte, dass es im Open Bereich noch mehr Qualitäten bietet. Vielleicht entsteht in der Tabakfabrik dafür eine Art Brutstätte, dann würde Linz eine noch viel größere Rolle spielen können.

D: Vielleicht in Verbindung mit der Bewerbung zur UNESCO City of Media Arts?

F: Der ich viel Erfolg wünsche und hoffe, dass es klappt. Aber das muss man dann auch nutzen und fördern. Ich hab die Aussage bei der Tourismuskonferenz am 6. November 2014 , dass Linz sich 2024 erneut als Kulturhauptstadt bewerben kann, nur bedingt ernstgemeint. Was ich damit sagen wollte, ist, dass sich Linz solchen Herausforderungen stellen sollte. Das kann auch ein ganz anderes Format haben, aber die Tendenz zum Stillstand ist das Gefährliche. Wenn man sich die aktuellen Kulturhauptstadtbewerbungen in anderen Ländern ansieht, dann sind das hoch ambitionierte Projektentwürfe mit einem sehr starken commitment von Seiten der politisch Verantwortlichen. Eine Bewerbung wie sie seinerzeit für Linz09 entwickelt wurde, würde heute nicht mehr reichen.

D: Abschließend noch eine medienpolitische Frage: Der Wiener Falter hat in der Zeit vor Linz09 überlegt, eine Oberösterreich Ausgabe zu gründen. Kannst du erzählen, warum das nicht passiert ist?

Wie das in der österreichischen Medienlandschaft so ist, hätte das nicht ohne einen kräftigen Anschub der öffentlichen Hand geklappt. Nach meinem Kenntnisstand ist es daran gescheitert, dass die öffentliche Hand sich nicht dazu in der Lage sah, eine Anschubfinanzierung zu leisten, wir von Linz09 waren daran jedenfalls nicht beteiligt.

Ein Wort noch zur Linzer Medienlandschaft. Ich hüte mich vor einer pauschalen Aussage, das wäre auch unfair gegenüber den Medien wie zum Beispiel der Kronenzeitung, die Linz09 kritisch, aber fair begleitet haben. Aber es war schon eine unvergleichbar negativ destruktive Kampagne gegen Linz09, wie sie von den OÖN geführt wurde. Der Chefredakteur wollte offenbar partout nicht, dass Linz09 ein Erfolg wird und vertritt diese Haltung bis heute. Das hat es in keiner Kulturhauptstadt gegeben, dass eine Zeitung bis in das Kulturhauptstadtjahr hinein alles Mögliche unternommen hat, um das Projekt schlecht zu machen.

D: Wenn man die Medienlandschaft als Ganzes betrachtet, fehlt ein eher liberaleres, vielleicht linksorientiertes Medium?

F: Absolut, sicher. Ich lebe jetzt zehn Jahren nicht mehr in Deutschland und bin auch kein Nationalist. Aber wenn ich von außen auf Deutschland schaue, bin ich auf zwei Dinge besonders stolz. Einmal die Medienlandschaft in ihrer Vielfalt, sowohl im Zeitungswesen als auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen. Das gibt es in keinem Land Europas so qualitätsvoll. Das zweite ist das System des Föderalismus. Frankreich und Österreich sind zwei Länder, die sich mit ihren Hauptstädten so herausgebildet haben, dass sich die anderen Städte des Landes ständig in einer Defensivhaltung befinden. In Deutschland ist Berlin zwar die politische, aber weder die Medienhauptstadt noch die Finanz-, Kultur- oder Fussballhauptstadt. Es gibt keine Machtkonzentration an einer Stelle, sondern einen föderalen Ausgleich mehrerer Zentren, die untereinander auch konkurrieren. Dadurch ergibt sich eine Vielfalt, auch in den Medien. In Österreich und in Frankreich hat man den Eindruck, dass die Vielfalt der Medien doch sehr eingeschränkt ist, dass Berichtserstattung nicht nur redaktionell erfolgt, sondern durch finanzielle Deals. Je weiter man in die Provinz geht, desto dramatischer ist der Qualitätsverfall. Das ist etwas, woran Österreich leidet und speziell in Oberösterreich ist das ein lamentabler Zustand.

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