Zum Türkeireferendum und was wir jetzt in Österreich (nicht) tun sollten

Zum #Türkeireferendum: Ich bin wahrlich kein Türkeiexperte und kann wenig dazu sagen, wie es dort weitergehen wird. Die Oppositionsparteien sehen massive Unregelmässigkeiten und werden das Ergebnis anfechten, auch die OSZE hat von gravierenden Verstößen berichtet. Ob es eine reale Chance gibt, das amtliche Ergebnis noch zu kippen, kann ich nicht beurteilen.

Aber ich kann etwas dazu sagen, wie wir in Österreich damit umgehen werden – und wie wir damit umgehen sollten.

So wie es aussieht, haben etwa 75% der österreichischen wahlberechtigten Türken. die wählen waren, für Ja gestimmt. Das klingt viel, gibt zu denken und sollte und wird zu Diskussionen führen.

Aber wir sollten bei den Fakten bleiben, um die Stimmung nicht weiter aufzuheizen: Die türkischstämmmige „Community“ oder Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich (alles mangelhafte Begriffe, die höchstens zur Annhägerung dienen) ist viel größer und diverses. 272.000 Menschen haben Eltern, die in der Türkei geboren wurden, 153.000 Menschen sind selbst in der Türkei geboren. Die türkische Staatsbürgerschaft haben nur 115.000, davon haben 56.000 an der Wahl teilgenommen. Davon 75% sind 42.000, die für Ja gestimmt haben – also nur ein kleiner Teil jener Menschen, die sich selbst als türkisch sehen oder so gesehen werden.

In den nächsten Tagen wird in Österreich viel darüber gesprochen werden, wie dieses Ergebnis zu Stande kommen konnte. Es wird darüber gesprochen werden, wer „Schuld“ hat. Es wird über die Feindseligkeit der autochonen ÖsterreicherInnen gesprochen werden, zu Recht. Es wird darüber gesprochen werden, dass das als Grund nicht reichen sollte, für eine Diktatur in der Türkei zu stimmen, besonders wenn man selbst in Österreich die Vorzüge einer stabilen Demokratie genießt – teils auch zu recht. Es wird hoffentlich darüber gesprochen werden, wie wir in Zukunft besser zusammenleben können, und diese Spaltungen auch bei uns überwinden können.
Aber es wird leider auch von vielen KommentatorInnen und PolitikerInnen sehr pauschal von „den Türken“ gesprochen werden. Und damit wird ein Bild geschürt werden, dass „die Türken“ unsere demokratischen Werte nicht teilen werden. Was auch immer unsere demokratischen Werte angesichts der Wahlergebnisse der FPÖ und Norbert Hofers wert sind. Es wird wohl viel zu oft mit einer für Österreich typischen Verlogenheit eine krasse Gegensätzlichkeit zwischen „denen“ und „uns“ konstruiert werden.

Das wird nicht nur der Realität nicht gerecht – siehe Zahlen oben. Es hilft uns auch nichts. Auch wenn man Probleme in den migrantischen Communities nicht schön reden darf – die gibt es sehr wohl! – so hilft eine Polarisierung niemanden weiter. Wir müssen bei den Fakten bleiben, kühlen Kopf bewahren. Wir müssen gezielt die progressiven Kräfte in unserer Gesellschaft und auch in den migrantischen Communites stärken. Wir dürfen nicht in Panik verfallen und uns einreden, dass es hier unüberwindbare Unterschiede gibt.

Und wir müssen wie immer daran arbeiten, dass es besser wird. Für uns alle. Hier in Österreich, dort in der Türkei, in ganz Europa. Nicht denkend in nationalstaatlichen Grenzen, nicht denkend in ethnischen Grenzen.

Baut Netzwerke auf, engagiert euch und tut etwas.

(Über) die Bande

Aktuell findet in Wien der erste Spaziergang der österreichischen Pegida-Bewegung statt. Wen man Twitter und die Liveticker der Medien verfolgt, kann man schon vor Ende der Demo erste Schlüsse ziehen:

Was Pegida Österreich ist

Pegida Österreich ist keine Massenbewegung, sondern der harte Kern einer rechtsextremen, nazistischen Szene:

Pegida Oesterreich Hitlergruss via @JChristandl

Hitlergrüße, via @JChristandl

Deutschlandfahnen

Deutschlandfahnen, via @msulzbacher

Hitlergrüße, Deutschlandfahnen, „Heil Hitler“-Rufe, Sprechchöre wie „Wer nicht hüpft, der ist ein Jude“: Die TeilnehmerInnen von Pegida Österreich zeigen ihre Gesinnung bewusst offen und stolz vor hunderten PolizistInnen und dutzenden VertreterInnen der Presse. Wer heute an diesem Spaziergang teilnimmt, kann wohl mit Fug und Recht als rechtsextrem eingestuft werden.

Anders als in Dresden, wo je nach Schätzungen zwischen 5.000 und 15.000 Personen auf der Straße waren, sind es in Wien aber gerade mal 300-500. Doch warum ist das so? Dazu gibt es zwei plausible Antworten: Erstens konnte die deutsche Pegida lange Zeit mehr oder weniger unbeobachtet wachsen, es dauerte einige Zeit, bis sich zivilgesellschaftlicher Widerstand artikulierte und organisierte. Die österreichische Öffentlichkeit war aus Deutschland vorgewarnt, die linken politischen Kräfte haben von Anfang an offen dagegen mobilisiert und heute etwa 5.000 Menschen auf die Straße gebracht. Das dürfte doch manche der möglichen Sympathisanten davon abgeschreckt haben, heute mitzumarschieren. Die zweite Erklärung lautet, dass jene Positionen, die Pegida in Deutschland vertritt, in Österreich schon lange im politischen Mainstream eine Heimat haben – eine Heimat namens FPÖ.

Wie die FPÖ mit PEGIDA umgehen wird

Da sich Pegida Österreich zu einer Zeit gründete, als die Bewegung in Deutschland nach einem Medienhype an ihrem Höhepunkt angelangte, war die erste Reaktion eine wohlmeinende: „Wir würden Pegida in Österreich unterstützen!“ (30.12.14, Strache in der TT)

Während im Dezember noch alles gut zu laufen schien, ging die FPÖ nach den ersten Krisen von Pegida sofort auf Distanz: „Ich brauche keine PEGIDA (dazu)“ (9.1..15). Es gab keine offene Empfehlung der FPÖ zur Teilnahme an der heutigen Pegida-Demo, in Beiträgen auf Straches FB Seite und unzensuriert.at wurde lediglich in einem halbwegs neutralen Ton auf die Veranstaltung hingewiesen:

Strache Facebook

Nachdem der Plan eines gemäßigten, ersten Auftritts von Pegida Österreich wohl ordentlich schief gegangen ist, kann man davon ausgehen, dass sich Strache in den nächsten Tagen öffentlich von der neuen Bewegung distanzieren wird. Er wird dies aber wohl nicht tun, weil er inhaltlich anderer Meinung ist. Im Gegenteil ist sowohl die zugrunde liegende Geisteshaltung als auch die konkrete inhaltliche Ausrichtung von FPÖ und Pegida deckungsgleich. Er wird sich distanzieren, weil auch die Mehrheit der eigenen potentiellen WählerInnenschaft von einer so extremen Gruppierung wie Pegida Österreich eher abgeschreckt ist. Ohne den strukturellen Support der FPÖ ist die Bewegung aber auf lange Sicht zum scheitern verurteilt.

Die rechtsextreme Szene wird in Österreich strukturell von der FPÖ erhalten. Ohne deren monetären Zuwendungen, die im Endeffekt von öffentlichen Förderungen stammen und einem Netzwerk, in dem sich besonders viele Rechtsanwälte tummeln, die bei Bedarf Neonazis kostenfrei vertreten, wäre die rechtsextreme Szene in Österreich viel schwächer. Ohne diesen Support kann Pegida Österreich auf Dauer kaum überleben, angesichts der offenen nazistischen Positionierung wird sich die FPÖ eine offene Unterstützung kaum leisten wollen. Sie wird aber dennoch weiterhin insgeheim mit ihr sympathisieren und sie mit Aufmerksamkeit wie in obigem Posting oder Symbolen und versteckten Botschaften hofieren. Pegida ist damit als weiterer, verlängerter Arm einer rechtsextremen und vielschichtigen Bewegung zu sehen, die in Österreich mittlerweile für ein Viertel der Bevölkerung konsensfähig geworden ist. Ob Pegida doch ein Erfolg wird, oder nicht, ist zweitrangig: Über sie kann die österreichische Rechte ihre politische Agenda über eine weitere Bande spielen.

Wie Restösterreich mit PEGIDA umgehen wird

Ohne Verbündete in Politik und Medien wird Pegida nach den heutigen Vorfällen in den nächsten Tagen wohl keine Gnade in der öffentlichen Meinungsbildung erwarten können, wie es sie in Deutschland wohl aufgrund der Überrumpelung und dem Druck der AfD durchaus bis heute gibt. Die Medien werden Pegida Österreich das nennen, was sie ist – eine neonazistische Bewegung. Die FPÖ wird daher auf Distanz gehen. Und die anderen Parteien, allen voran ÖVP und SPÖ, werden froh sein, dass es ihnen Pegida Österreich leicht gemacht hat, auch auf Distanz zu gehen. Denn während in Deutschland die VertreterInnen durch die mediale Unterstützung als ernstzunehmende DiskursteilnehmerInnen von CDU und sogar SPD wahrgenommen wurden, sind sie das in Österreich offensichtlich nicht.

Die öffentliche Meinung wird wohl bald den Konsens finden, dass Pegida keinen Platz in Österreich hat. Was grundsätzlich zu begrüßen ist, wirft aber die Frage auf: Wenn sich die FPÖ auch selbst zuschreibt, dass es in Österreich keine Pegida braucht, weil es ja die FPÖ gibt, wenn man also davon ausgehen kann, dass die Geisteshaltung und die politische Ausrichtung großteils deckungsgleich ist – müsste man dann nicht die selbe Schlussfolgerung zu Pegida wie zum Akademikerball in der Hofburg ziehen? Nämlich dass der Protest gegen die tanzenden Burschenschafter von letzten Freitag die selbe Legitimation haben sollte wie der gegen den heute stattfindenden Spaziergang der Pegida.

Man kann aber davon ausgehen, dass sich jene Medien und Parteien, die den antifaschistischen Protest gegen den WKR Ball in den letzten Wochen kriminalisiert, skandalisiert und mit völlig falschen Maßstäben gemessen haben sich nun auf der richtigen Seite wähnend voll gegen Pegida stellen werden. Und damit eine für österreichische typische Doppelmoral erkennen lassen werden: Nazis im T-Shirt sind abzulehnen, Nazis im Nadelstreif sind ernstzunehmen.