Interview: Wer spricht von Subvention?

Dieses Interview ist erstmals in der KUPFzeitung #177/2021 erschienen.

Thomas Diesenreiter: Sie mögen den Begriff der Subvention nicht, weil er die Tatsachen nicht richtig darstellt. Was wäre denn ein besserer Begriff?

Rudolf Scholten: Die Antwort ist einfach: ‚Öffentliche Finanzierung‘, wie für viele andere Bereiche auch. Universitäten werden öffentlich finanziert, der Gesundheitsbereich wird öffentlich finanziert, usw. Öffentliche Finanzierung ist der adäquate Ausdruck für einen Bereich, der nicht aus Unfähigkeitsgründen die Finanzierung im Markt nicht auftreibt, sondern öffentliche Finanzierung braucht, wie beispielsweise der gesamte Bildungsbereich. Ich glaube generell, dass für alle diese Diskussionen ein Vergleich mit der Wissenschaft, insbesondere der Grundlagenforschung, adäquat ist.

Warum haftet der Kultur-Finanzierung der Geruch von Almosen an, während das etwa bei Kindergärten oder im Straßenbau nie so kommuniziert wird?

Politisch gesehen gibt es keinen Grund, das ist einfach falsch, das haben wir uns falsch angewöhnt. Wenn Sie mich ‚privat‘ fragen, dann ist es wohl darin begründet, dass die anderen Bereiche kaum privat finanzierte Beispiele kennen. Grundlagenforschung ist immer öffentlich finanziert, Kindergärten sind nur in radikaler Minderheit privat finanziert. Aber im Kunstbereich stehen privat finanzierbare öffentlich finanzierten Beispielen relativ nahe. Warum wird im Film sehr viel kommerzieller diskutiert als im Theater? Weil im gleichen Kino kommerzielle Filme wie staatlich mitfinanzierte Filme gespielt werden. Es gibt aber kein Theater, in dem gleichzeitig Jelinek-Uraufführungen und Eisrevue stattfindet. Das mag lächerlich klingen, aber ich glaube, diese Nähe von kommerziellen und nicht kommerziellen Produkten in der Kunst ist größer als in anderen Bereichen. Das mag eine Begründung sein, aber keine Rechtfertigung, es deswegen falsch zu benennen.

Der Staat bzw. das Land hat ja den (Selbst-)Auftrag, seiner Bevölkerung ein Kunst- und Kulturangebot zur Verfügung zu stellen, sich um das kulturelle Leben zu kümmern. Nun könnten das Bundesland Oberösterreich oder andere Kommunen sagen: „Wir finanzieren ohnehin das Landesmuseum und die Landestheater, das reicht aus.“

Es braucht das gesamte Spektrum. Ich würde sogar einen Schritt weiter gehen und sagen, die richtige Formulierung ist nicht so sehr, dass der Staat die Verpflichtung hat, das zu finanzieren, sondern die Gesellschaft es finanzieren will, weil sie versteht, dass sie es braucht. Da komme ich wieder zur Grundlagenforschung. Wenn Sie geschichtlich zurückblicken, werden Sie schnell bemerken, dass es eine große Parallelität zwischen Gesellschaften gibt, die bewusst in Kunst und Wissenschaft investieren und solchen, die auch in den pragmatischen wirtschaftlichen und politischen Bereichen erfolgreich sind. Die meisten der historisch erfolgreichen Gesellschaften waren sich sehr wohl bewusst. Sie haben verstanden, dass sie Kunst und Wissenschaft brauchen und daraus entstand der pragmatische politische und wirtschaftliche Erfolg. Würde man dies im Sinn der Umwegrentabilität spekulativ ansteuern, würde es mit Sicherheit nicht funktionieren.

Sie haben Anfang der 90er als Kulturminister erstmals auf Bundesebene ein breites Förderprogramm für Kulturvereine und Kulturinitiativen aufgelegt. Dieses gibt es bis heute in der Abteilung 2/7. Warum haben Sie das gemacht?

Lassen Sie es mich ganz einfach sagen: Wenn man Qualität will, muss man verstehen, dass das gesamte Spektrum notwendig ist: von dezentralen bis zentralen Organisationen, genauso wie von sehr riskanten Initiativen mit schmalem Aufmerksamkeitsgrad bis zu jenen mit einem breiten Angebot. Würde man einen Teil vernachlässigen, nimmt man bewusst in Kauf, dass die Wahrscheinlichkeit von Qualität sinkt.

Prinzipiell sind aber eigentlich die Bundesländer für die Kulturfinanzierung zuständig. Hat es damals also keinen Widerstand gegen dieses ‚Hineinregieren‘ des Bundes gegeben?

Aus Sicht der betroffenen Organisationen ist dieses Wechselspiel zwischen Bund, Land, Stadt oft mühselig. Zugleich muss man aus der praktischen Erfahrung sagen, dass diese Schaukel-Situation auch Vorteile produzieren kann. Der Bund kann zum Beispiel die Finanzierung für die Organisation X erhöhen unter der Voraussetzung, dass das Land mitzieht. Das Land würde es relativ leicht haben, nicht zu erhöhen, aber mit einer Zusage vom Bund und diesem zusätzlichen Druck tut es sich wesentlich schwerer.

Kultur, die politisch umstritten ist, hat dadurch auch ein bisschen größere Sicherheit, wie man in Kärnten sehen konnte, als Jörg Haider an die Macht gekommen ist und die Förderung von zeitgenössischer Kunst und Kultur von einem Tag auf den anderen auf Null gefahren hat. Viele konnten nur durch das Geld aus dem Bund überleben. Demgegenüber steht trotzdem ein irrsinniger Verwaltungsaufwand.

Ich glaube, dass die politische Stabilität oder politische Sicherheit den bürokratischen Aufwand sticht, der zudem bereits wesentlich geringer geworden ist.

In der Kulturfinanzierung ist es üblich, dass KulturpolitikerInnen – Landes-, Kommunal- und StadtkulturreferentInnen – wirklich jede einzelne Förderentscheidung selbst bearbeiten. Wäre es nicht vielleicht notwendig, wie in der Wirtschaft – man denke an die AWS – eine unabhängige Kulturfinanzierungs-Organisation ins Leben zu rufen, die frei von politischer Einmischung Förderentscheidungen auf fachlicher – nicht politischer – Expertise trifft?

Die Antwort ist ja, bloß ist Ihre eigene Perspektive sehr stark geprägt von den Kulturinitiativen. Staatlicher Finanzierung muss eine politische Entscheidung zugrunde liegen in der Höhe des Budgets; die Einzelförderentscheidungen müssen ausgelagert sein.

Rudolf Scholten, ehemaliger Minister für Kunst, heute Präsident des Aufsichtsrats der Wiener Festwochen und des Österreichischen Filminstituts. 

Which Way to Fair Pay?

Dieser Text ist erstmals in der KUPFzeitung #176/2020 erschienen.

Mahnrufe aus der Geschäftsführung der KUPF OÖ.

Die «Kulturnation Österreich» und das «Kulturland Oberösterreich» sind nichts anderes als Tourismus-Slogans, die wenige reich und viele immer ärmer werden lassen. Wer sich hierzulande für Arbeit im Kunst- und Kulturbereich entscheidet, hat gute Chancen, nur die Mindestpension zu beziehen, im Schnitt zehn Stunden mehr pro Woche für 33 % weniger Gehalt zu arbeiten oder wie 37 % der Kolleg*innen unter der Armutsgrenze zu leben. Auch die vielen EPUs wie Ton- und Lichttechniker*innen oder Bühnenbauer*innen sind in einem Konkurrenzkampf gefangen, der die Honorare seit Jahren stagnieren oder gar sinken lässt. Zahlreiche Studien haben aufgezeigt, wie schlecht es um die Einkommen von Österreichs Kulturarbeiter*innen und Künstler*innen steht. Der kulturpolitische Handlungsdruck ist enorm und bekannt. Dennoch hat es bisher keine Partei geschafft, das Ruder herum zu reißen. Die Lage verschärft sich zusehends, besonders in der Freien Szene, aber auch in den unteren Ebenen der großen Häuser. Seit Jahrzehnten lautet daher das Mahn-tra der KUPF OÖ: Kürzt nicht, wir arbeiten schon am Limit! Das System der tausenden Einzelkämpfer*innen und Zwangs-Ehrenamtlichen ist höchst fragil. Wer macht noch hoffnungsvoll (oder verzweifelt) in diesem Sesseltanz mit – um den zweifelhaften Preis eines morschen Sitzplatzes?

Im Brennglas der Corona-Krise und im ersten Jahr jener Bundesregierung, die sich erstmals – zumindest programmatisch – dem Fair Pay verschrieben hat, werden die Perversionen der österreichischen Kulturlandschaft sichtbar: Klein-Klein-Hilfsmaßnahmen werden jenen als Strohhalme zugeworfen, denen das Wasser längst bis zum Hals steht. Wie bitter nötig das ist, zeigt sich daran, dass nicht wenige dieser kleinen, prekären Einzelkämpfer*innen mit dem Strohhalm besser atmen können als zuvor. Dass eine Hilfszahlung von 1.000 € pro Monat für manche Künstler*innen einen finanziellen Aufstieg darstellt, zeigt die Kaputtheit des regulären Kulturfördersystems besonders drastisch.

Österreichs Kunst- und Kulturszene beruht zu großen Teilen auf (Selbst-)Ausbeutung. Doch das finanzielle Aushungern und Kürzen der Kulturförderungen zahlt sich nicht einmal wirtschaftlich aus. Studien des ifo Instituts in München oder der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig belegen, dass öffentliche Kulturförderungen sich rechnen: Sie bringen Umwegrentabilität und Wohlstand durch Zuzug hochqualifizierter Mitarbeiter*innen und Tourismus. Das gilt für jedes ‹normale› Jahr, darf aber in Hinblick auf die zu planenden Budgets und bereits angekündigten Sparkurse Post-Corona auf keinen Fall vergessen werden: Bei der Kultur kürzen heißt doppelt Geld verlieren.

Diese Kürzungen passieren auch schleichend. Während die Inflation der letzten 20 Jahre 46 % beträgt, ist der Finanzierungsbeitrag des Bundes zu den regionalen Kulturinitiativen nur um 11 % gestiegen.¹ Und die große Mehrheit der österreichischen Kulturinitiativen sieht sowieso keinen Cent vom Bund, da dieser nur Vereine von «überregionalem Interesse» finanziert. Beides gehört geändert. Ein mickriges Plus von ein paar hunderttausend Euro mehr für die Kulturinitiativen im nächsten Jahr, wie sie zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Artikels im Gespräch sind, wäre daher ein schlechter Witz.

Österreich braucht eine Kulturpolitik mit Visionen. Wenn es die Bundes-Grünen mit Fair Pay ernst meinen, dann muss ein drastischer Umbau in Österreichs Kulturfinanzierung folgen. Eine Million mehr reicht nicht. Wir brauchen eine Milliarde mehr. Wir brauchen ein Kulturzentrum in jeder Gemeinde, wir brauchen Kunst und Kultur in der Breite und nicht nur in den Leuchttürmen. Wir brauchen weniger Verwaltungsaufwand für die Kulturfinanzierung. Wir brauchen unabhängige Förderstellen, die sich losgelöst von parteipolitischen Interessen bestmöglich um ihre Kund*innen kümmern. Wir brauchen faire Bezahlungen, faire Honorare, faire Förderungen. This is the way.

¹ Kulturministerium, Kunstbericht 1999 Förderbudget Abteilung II/8 (exklusive Förderung freie Medien) und Kunst- und Kulturbericht 2019 Förderbudget Abteilung II/7

1. Mai 2020: Kultur prekärer denn je

Österreich nennt sich eine Kulturnation. Aber wie kann es sein, dass in einer Kulturnation der Kunst- und Kulturbereich in der aktuellen Ausnahmesituation so sträflich schlecht behandelt wird? Vor 7 Wochen wurden die ersten Veranstaltungsverbote verhängt. Vor 6 Wochen hat die Bundesregierung Hilfsmaßnahmen für die vielen tausenden Kunst- und Kulturvereine angekündigt. Aber noch immer wurde der Härtefond für NGOs weder konkretisiert, geschweige denn umgesetzt.

Wertvolle Zeit verstreicht ohne eine Lösung, in der mehr und mehr Kulturvereinen das Geld ausgeht. Mieten können nicht bezahlt werden, Kulturorte drohen geschlossen zu werden. Und am schlimmsten natürlich: Mehr und mehr KulturarbeiterInnen werden arbeitslos. Viele sind von der Kurzarbeit ausgeschlossen, weil sie zuvor schon so wenig verdient haben, dass sie nie in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Jene, die zuvor schon wenig hatten, trifft es nun also am härtesten.

Seit Wochen fordern wir als Kulturplattform Oberösterreich vehement eine Lösung für die tausenden geringfügig Beschäftigten im Kulturbereich, aber es ist keine Lösung in Sicht. Die Kulturnation Österreich ist eine nichts anderes als ein Tourismus-Slogan, ein Claim, der wenige reich gemacht hat, und viele immer ärmer werden lässt. Wer sich in Österreich für Arbeit im Kunst- und Kulturbereich entscheidet, muss davon ausgehen, dass er einmal eine Mindestpension beziehen wird. Zahlreiche Studien haben aufgezeigt, wie schlecht es um die Einkommen von Österreichs KulturarbeiterInnen und KünstlerInnen steht. Keine Partei hat es in den letzten Jahren geschafft, das Ruder rumzureissen, die Lage wird immer schlechter, besonders in der freien Szene, aber auch in den unteren Ebenen der großen Häuser.

Wer in Oberösterreichs Kulturleuchttürmen mit Kettenverträgen Jahr für Jahr um eine Verlängerung fürchten musste, wurde nun einfach gekündigt. Jene, die über Leasingfirmen ausgelagert wurden, wurden einfach gekündigt. GastschauspielerInnen ohne fixe Verträge – einfach gekündigt. Aber auch die vielen Einpersonenunternehmen wie Ton- und LichttechnikerInnen, Bühnenbauer und so weiter sind in einem Konkurrenzkampf gefangen, der die Honorare seit Jahren stagnieren oder gar sinken lässt. Und jetzt in der Krise wird sichtbar, wie fragil dieses System der tausenden EinzelkämpferInnen ist.

Österreich braucht eine Kulturpolitik mit Visionen, die sich nicht mit Klein-Klein aufhält. Wir brauchen nicht hier eine Million mehr, da eine Million mehr. Wir brauchen eine Milliarde mehr. Wir brauchen ein Kulturzentrum in jeder Gemeinde, wir brauchen Kunst und Kultur in der Breite und nicht nur in den Leuchttürmen. Wir brauchen faire Bezahlungen, faire Förderungen, faire Honorare – nicht mehr und nicht weniger. Und dafür müssen wir uns organisieren. Werdet Mitglied in einer Gewerkschaft, werdet Mitglied in einem Dachverband. Unterstützt die AktivistInnen oder werdet selber welche. Denn Veränderungen kann es nur geben, wenn wir diese auch vehement einfordern.

Siehe auch den offenen Brief an die Bundesregierung der KUPF OÖ und Schwesterorganisationen:

Fortschritt statt Trübsal

Dieser Text ist erstmals in der KUPFzeitung #173/2020 erschienen.

«Wir werden bei den (Kultur-)förderungen kürzen, damit wir in die Zukunftsbereiche investieren können.» So kündigte Wirtschaftslandesrat a. D. Strugl im Jahr 2017 die Kürzungen im Kulturbereich an. Damit skizzierte er die Stoßrichtung der frisch formierten Landesregierung gut: Kultur, das ist die Vergangenheit. Die Zukunft, die er meinte, die war in der Wirtschaft zu Hause, in der gewinnorientierten natürlich. Denn das in der gemeinnützigen Kultur- und Sozialbranche eingesparte Geld wurde dann eben flugs dieser Wirtschaft zugeführt (siehe KTM).

Kulturpolitik und damit auch Kulturförderungen sind für Politiker*innen kaum noch sexy. Den Rang abgelaufen hat ihr der Diskurs um die Förderung der Kreativwirtschaft. Es gibt kaum einen Staat oder eine Stadt, der oder die nicht in den letzten Jahren ihre Creative Industries mit öffentlichen Förderungen gezielt auf- und ausgebaut hat. Dadurch sind Begrifflichkeiten in den politischen Sprachgebrauch gerutscht, die bisher zum Argumentationsrepertoire des Kunstsektors gehörten: Kaum eine politische Rede kommt heute ohne die Begriffe Kreativität, Innovation und Transformation aus. Die Frage, ob angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen von einer Ökonomisierung der Kultur oder doch eher von einer Kulturalisierung der Ökonomie zu sprechen ist, bleibt bislang unbeantwortet. Klar ist aber: Wer den Kopf in den Sand steckt, muss zusehen, wie seine Relevanz und Einfluss in der politischen Auseinandersetzung zunehmend schwinden.

Es sind Unternehmen wie Amazon, Facebook, Google, Tesla oder Uber, die heute in den Überlegungen zur Welt von morgen den Ton angeben. Und es sind die Start-ups und die Business Angels, die Zugang zur Politik haben und so ihr Denken, ihre Sprache und ihr Handeln wesentlich beeinflussen. Auf den diversen teuren, aber gut besuchten Creative Industries Summits und kreativwirtschaftlichen Fachkonferenzen geben sich Politiker*innen die Klinke in die Hand und reißen sich um einen Platz auf der Bühne. Bei kulturpolitischen Diskussionen müssen wir oft schon froh sein, wenn überhaupt Politiker*innen teilnehmen. Oberösterreichs Landeskulturreferenten und Landeshauptmann Stelzer haben wir trotz mehrfacher Einladung bis heute nicht zur Teilnahme an einer KUPF Veranstaltung bewegen können.

Was nun?

Wer heute eine Kulturinitiative gründet, sieht angesichts des Senioritätsprinzips im Subventionsbereich und der verkrusteten Förderstrukturen oft durch die Förderfinger. Hier entstehen Frustrationen, die dann die Hoffnung auf alternative Finanzierungsmöglichkeiten nähren. Kreativwirtschaftsfonds, Crowdfunding oder betriebswirtschaftliche Geschäftsmodelle wecken den Glauben an Unabhängigkeit. Warum also lange auf Förderzusagen der Kulturämter warten, wenn man dank billigster Produktionsmittel, freiem Wissen und offener Netzwerke sofort loslegen kann? Warum im Rahmen des kulturellen Experiments bleiben, wenn man wie die Waag Society in Amsterdam mit dem Fairphone die Grenze von der Kunst in die Realwirtschaft durchbrechen kann?

Es gibt ausreichend gute Gründe, angesichts der Vielzahl neuer Fragestellungen zumindest zu versuchen, neue Wege zu gehen. In dieser Hinsicht verdienen junge Perspektiven auf alle Fälle eine Chance, sich von den Dogmen vorangegangener Generationen zu lösen und eine neue künstlerische, kulturelle sowie mediale Praxis zu erproben. Dies muss gar nicht in Widerspruch zu den Ansprüchen auf Erhaltung und Ausbau von Gemeinwohl und öffentlicher Sphäre treten. Auf einer theoretischen Ebene finden sich dazu Ansätze im Beschleunigungsmanifest für eine akzelerationistische Politik von den beiden US-Amerikanern Nick Srnicek und Alex Williams. Am Beginn dieses Manifests steht eine schonungslose Selbstkritik:

«Dass die rechtskonservativen Kräfte innerhalb und au­ßerhalb der Regierungen sowie die Unternehmen den Neoliberalismus immer weiter vorantreiben konnten, ist zumindest teilweise die Folge der anhaltenden Läh­mung und Ineffizienz dessen, was von der Linken übrig geblieben ist. Dreißig Jahre Neoliberalismus haben die meisten linksorientierten Parteien aller radikalen Ide­en beraubt, ausgehöhlt und ohne Mandat der Bevölke­rung zurückgelassen. […] Die wichtigste Trennlinie in­nerhalb der zeitgenössischen Linken verläuft zwischen Vertreter[*inne]n einer Politik des folkloristischen Loka­lismus, der direkten Aktionen sowie des grenzenlosen Horizontalismus und den Anhänger[*inne]n einer Poli­tik, die akzelerationistisch zu nennen ist, einer Politik, die sich in einer Moderne der Abstraktion, Komplexität, Globalität und Technologie zu Hause fühlt. Erstere be­gnügen sich damit, provisorische Kleinst­Räume für nicht­kapitalistische Sozialbeziehungen zu errichten und so den echten Problemen aus dem Weg zu gehen, die die Konfrontation mit einem Feind, der seinem We­sen nach nicht­lokal, abstrakt und tief in der Infra­struktur unseres Alltags verankert ist, mit sich bringt. Das Scheitern ist einer solchen Politik von Beginn an eingeschrieben. Die akzelerationistische Politik hinge­gen versucht die Errungenschaften des Spätkapitalis­mus zu bewahren und zugleich weiter zu gehen, als es sein Wertesystem, seine Regierungsstrukturen und sei­ne Massenpathologien erlauben.»

Wer muss beim provisorischen Kleinst-Raum für nichtkapitalistische Sozialbeziehungen nicht an den kleinen Kulturverein um die Ecke denken? Oder an das kleine politische Zine aus dem Freundeskreis? Die Stoßrichtung der Akzelerationist*innen ist simpel: Wir müssen den Fortschritt wieder zurückerobern. Und das auf allen Ebenen – der Gestaltungsanspruch darf nicht im eigenen Dorf, im eigenen Bezirk enden. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie Konzerne und kapitalistische Ausbeutung den Kulturbereich zerstören.

Wir sehen in Europa gerade eine ähnliche Entwicklung wie in den USA einsetzen, wo beispielsweise Konzerne wie Ticket Nation mit einem Umsatz von mehr als 10 Milliarden Dollar auf Monopolstellungen im Musikbereich zusteuern. Wer vom Veranstaltungsort, Ticketverkauf, von der Künstler*innenagentur bis zum Merchverkauf alle Aspekte kontrolliert, hat ohne Zweifel immensen Einfluss auf die Frage, welche Musik gehört wird. Dass die KUPF OÖ vor zwei Jahren mit einer eigenen Ticketplattform an den Start gegangen ist, kann vor diesem Hintergrund gesehen werden. Wie ein Kollege aus einer kleinen Bookingagentur kürzlich meinte, «ist KUPFticket das revolutionärste, was man in dem Bereich machen kann». Auch wenn dieses Projekt noch ein zartes Pflänzchen ist, so hat es das Potential, eine Lücke in das Bollwerk Ö-Ticket / Eventim zu schlagen, das mit seiner Marktmacht absurde Preise und Knebelverträge durchsetzen kann.

Wenn wir eine andere Gesellschaft wollen, müssen wir groß denken. Auch wenn es im mühseligen Kulturarbeits-Alltag schwierig erscheint, wir müssen uns darauf verständigen, wohin wir als Kulturszene wollen. Welche Plattformen brauchen wir jetzt und in der Zukunft? Welches Know-how müssen wir uns aneignen? Welche Netzwerke müssen wir spannen, wer sind unsere Bündnispartner*innen? Wie können wir unsere Position nach Jahren einer neoliberalen Durchdringung unserer Gesellschaft wieder strategisch stärken? Sind unsere Strukturen, unsere Kommunikation, unsere Handlungsweisen noch zeitgemäß?

Wer der neoliberalen Logik etwas entgegenstellen will, muss auf diese Fragen konkrete Antworten finden. Und aus der der Kulturszene manchmal innewohnenden Abwehrhaltung eine positive Lust an der Zukunftsgestaltung machen. Dann klappt’s vielleicht auch wieder mit der Aufmerksamkeit der Politik.

Der Text basiert teilweise auf einem gemeinsam mit Martin Wassermair verfassten und 2017 im Facultas Verlag erschienen Beitrag für die Publikation Kultur und Politik: Reflexion oder Aktion?

Warum die „Kulturnation Österreich“ eine Lüge ist

Ein paar Gedanken zur Relevanz der Kulturpolitik in Österreich:

Seit Bundespräsident Van der Bellen die designierte Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein vor ein paar Tagen mit der Bildung einer ExpertInnenregierung beauftragt hat, wird wild spekuliert, wer welche Ministerien leiten wird. In den vielen hunderten Artikeln mit Spekulationen, Gerüchten, Halbfakten und Bestätigungen wurde ein Ministerium konsequent vergessen: Das Kunst- und Kulturministerium. Erst heute Abend habe ich erstmals über das Abendjournal von Ö1 gehört, dass der designierte Außen- und Europaminister Alexander Schallenberg auch noch die Agenden vom ehemaligen Kanzleramtsminister Blümel, also Kunst, Kultur und Medien, übernehmen wird.

Soweit ich es recherchieren konnte, hat Alexander Schallenberg keinen Kulturbackground: Weder hat er eine entsprechende Ausbildung, noch war er bisher nach öffentlich einsehbaren Informationen beruflich im Kunst- und Kulturbereich tätig. Das ist schade, weil es wieder einmal zeigt, wie unwichtig es den Regierenden erscheint, in diesem Amt jemanden zu haben, der Fachkompetenz aufweist.

Und das ist leider seit Jahren so: Von den letzten 6 KulturministerInnen seit 1995 hatten ganze 5 keinerlei professionellen Kulturbackground (Gernot Blümel, Josef Ostermayr, Gabriele Heinisch-Hosek, Claudia Schmied, Elisabeth Gehrer). Lediglich der letzte SPÖ Kulturministier, Thomas Drozda war zuvor langjährig als Kulturmanager im Burgtheater tätig. Bei Claudia Schmied könnte man noch diskutieren, sie war auf SPÖ Tickets zumindest mehrere Jahre in Vorständen von Kulturbetrieben vertreten.

Es gibt übrigens auch etwas Positives an der Entscheidung, Kunst und Kultur beim Außenministerium anzusiedeln: Damit sind erstmals seit vielen Jahren alle Kulturagenden unter einem Dach. Denn derzeit waren Kulturbotschaften und die Auslandstourförderung auch schon im Außenministerium geparkt, was nicht immer recht glücklich war.

Was wäre nun mein Verbesserungsvorschlag?

Wenn Österreich sich wirklich als Kulturnation verstehen will, dann muss es auch ein eigenständiges Kunst- und Kulturministerium haben, das von einer fachkompetenten Persönlichkeit geleitet wird. Und logischerweise auch mit den notwendigen finanziellen Mitteln ausgestattet ist, um das gesamte Kunst- und Kulturschaffen Österreichs bestmöglich zu unterstützen. Beides fordern die Kultur-Interessenvertretungen wie die IG Kultur, KUPF OÖ, etc übrigens seit langem, leider vergebens.

Es bleibt also zu fürchten, dass im Kulturbereich wieder einmal wenig weitergeht. Auch, wenn das ExpertInnenkabinett wohl nur etwa ein halbes Jahr im Amt bleibt, so zeigt diese Entscheidung, dass die politische Dimension von Kunst und Kultur in Österreich auch weiterhin drastisch unterschätzt wird. Leidtragende sind vor allem die Kunst- und Kulturschaffenden, aber auch das Publikum: Denn Österreich könnte kulturell ganz wo anders stehen, würde die Kulturszene von den Parteien nicht so im Stich gelassen werden. So wird der kulturpolitische Fokus wohl weiterhin zum Großteil auf den großen Institutionen und den touristischen Schlagern Mozart und Festspiele liegen. Die Diversität des kulturellen Schaffens Österreichs und besonders die zeitgenössische Kunst kommen ohne kompetente deutlich zu kurz.

Österreich sollte sich daher nicht Kulturnation nennen, solange sich das nicht ändert.

Kulturlandretten: Es geht nicht nur ums Geld

Dieser Beitrag wurde ursprünglich in der KUPFzeitung #165 publiziert.

Nach dem Kulturlandretten ist vor dem Kulturlandretten: Der Kampf um die Zukunft der oberösterreichischen Kulturszene hat gerade erst begonnen.

Anlegen

Es war ein stürmischer Herbst. Die Ankündigung der oberösterreichischen Landesregierung, im Kulturbereich 30 % der freien Fördermittel zu streichen, hat über die Grenzen des Bundeslandes hinaus für Aufsehen gesorgt. Oder besser gesagt: Der Kampf gegen diese Kürzung, maßgeblich von der KUPF in Form der Kampagne «Rettet das Kulturland OÖ» angeführt. Es passiert nicht allzu oft, dass sich Landeshauptleute anderer Bundesländer zu den Vorhaben ihrer KollegInnen äußern. Und so stand auf einmal die nö. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner auf Seite der KUPF und hat ihrerseits Kürzungen im Kulturbereich wie in Oberösterreich klar abgelehnt. Trotz großen Medienechos, Kritik von allen Seiten und mehr als 17.000 Unterschriften der Petition konnte der Kahlschlag im Kulturbudget nicht verhindert werden: Trotz kleinen Zugeständnissen beim runden Tisch wurde das Zahlenwerk unverändert beschlossen. Das gesicherte Wissen darum, dass die Kürzungen ohne die Kampagne wohl noch höher ausgefallen wären, ist zwar schön, aber auch kein Grund zu jubeln.

Absagen

Hat sich der Sturm nun gelegt? Nein. Die Auswirkungen der Kürzungen im Budget werden erst mit den konkreten Förderentscheidungen sichtbar werden. Bisher, Stand Anfang März, wurden aber kaum Anträ- ge bearbeitet. Für Aufsehen sorgt aber die Ankündigung der Beamten, dass die Projektförderung im Bereich der darstellenden Kunst, also Tanz und Theater, zu 100 % eingestellt werden soll. Den entsprechenden Absagen des Landes OÖ folgten prompt auch Förderabsagen des Bundes: Wenn das Land OÖ nicht mitfördert, gibt es eben auch aus Wien kein Geld mehr. Genau davor hat die KUPF im Rahmen der Kampagne eindringlich gewarnt, leider ungehört. Wenn zwei von drei Förderstellen die Förderung beenden, bleiben nur noch die Gemeinden übrig. Dass diese aber ihre Budgets nun verdreifachen, ist unwahrscheinlich. Die genauen Folgen für Oberösterreich sind noch schwer abzuschätzen. Vielleicht werden manche KünstlerInnen irgendwie weitermachen, sich selbst noch mehr ausbeuten. Vielleicht steigen die Kartenpreise fürs Publikum. Vielleicht, und am wahrscheinlichsten aber ist, dass viele schlicht aufgeben werden. Oder in jene Bundesländer ziehen, in denen zeitgenössischer Tanz und Theater mehr Zukunft haben.

Abwarten

Ein weiteres Problem ist die seit letztem Jahr spürbar gestiegene Bearbeitungsdauer der Förderanträge. Mehr als einmal musste die KUPF für ihre Mitglieder und auch für sich selbst intervenieren, damit mehrere Monate offene Förderanträge bearbeitet oder zugesagte Förderungen ausbezahlt werden. Davon waren und sind nicht nur kleine Förderungen betroffen, auch größere Festivals mussten teils bis zu 10 Monate auf Förderzusagen warten. Dass Förderzu- oder -absagen teilweise sogar erst Monate nach den zu fördernden Veranstaltungen eintrudeln, ist schlicht nicht zu akzeptieren: Die Verantwortlichen in den Kulturvereinen müssen so nämlich große, persönliche Risiken und Haftungen eingehen. Durch die Kürzungen im Budget verschärft sich dieses Risiko nochmal: Wo man früher zumindest im Normalfall davon ausgehen konnte, dass Subventionen vermutlich fortgeschrieben wurden, so kommt nun die Gefahr dazu, massiv gekürzt zu werden oder ganz aus der Förderung zu fallen. Die KUPF fordert daher vom Land OÖ eine dringende Überarbeitung der Förderprozesse im Kulturbereich ein. Die Stichworte lauten: Entbürokratisierung, Verkürzung der Bearbeitungsdauer von Anträgen auf maximal acht Wochen, mehrjährige Förderverträge auch für Initiativen aus der Freie Szene.

Ansagen

Es braucht einen grundlegenden Sinneswandel in der Herangehensweise und im Denken des Landes: Kulturvereine, egal ob Freie Szene, Blasmusik oder Volkskulturinitiative sind de facto Dienstleister des Landes Oberösterreichs. Sie sind es, die dem Land OÖ helfen, seinen gesetzlich verankerten Kulturauftrag zu erfüllen:

Das Land Oberösterreich hat die Aufgabe für eine geordnete Gesamtentwicklung des Landes zu sorgen, die den wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Bedürfnissen der Bevölkerung insbesondere auch in Wahrung der Verantwortung für künftige Generationen Rechnung trägt.

Auszug aus dem Landesverfassungsgesetzes, Artikel 9 (1) 1.

Wenn das Land OÖ zur Erfüllung dieses Auftrages die Dienste der Kulturvereine in Anspruch nimmt, muss sie mit diesen auch auf Augenhöhe umgehen. Die Verantwortlichen müssen wegkommen vom Bild des lästigen Subventionssuchers, der froh sein muss, wenn er ein paar Netsch für seine Arbeit bekommt. Kulturarbeit ist Teil einer Grundversorgung der Bevölkerung, einer gesamtgesellschaftlichen Daseinsvorsorge, einer Basisinfrastruktur wie Strom, Wasser und dem öffentlichen Verkehr. Die Erhaltung des breiten Kulturschaffens des Bundeslandes darf nicht das I-Tüpfelchen beim Industrieland sein – die Leistungen der Kulturszene sind auch Teil des Erfolgs des Wirtschaftsstandorts. Wir arbeiten daran, dass auch das Land OÖ und der neue Kulturreferent und Landeshauptmann Thomas Stelzer erkennen, was sie an ihrer Kulturszene haben. Und dass die Rahmenbedingungen im Kulturbereich nach vielen Rückschritten wieder besser werden. Wir wollen Fortschritt, und das jetzt.

Von Gießkannen und Leuchttürmen

Foto: Dominik Tschütscher

Diese Rede habe ich im Rahmen des Diagonale’18 Film Meeting in Graz am 14. März 2018 als Input für einen Diskussionsrunde zur österreichischen Kulturpolitik gehalten:

Sehr geehrte Damen und Herren,

danke für die Einladung und die Gelegenheit, dass ich hier in diesem wunderschönen Saal sprechen darf. Ich muss vorweg sagen, dass ich kein Experte der Filmbranche bin, hier kennen sie alle sich sicher besser aus als ich. In der Anfrage hat es aber geheißen, es soll um Österreichs Kulturpolitik gehen, und hier kann ich hoffentlich etwas beitragen.
Nun hätten an der anschließenden Diskussion auch der aktuelle Kulturminister Blümel sowie der ehemalige Kulturminister Drozda teilnehmen sollen. Es ist schade, dass sie nicht hier sind, sind es doch deren beide Parteien, die maßgeblich die Kulturpolitik Österreichs in den letzten Jahrzehnten geprägt haben.

Man kann hier von zwei unterschiedlichen Paradigmen sprechen: Während die zentrale Leitlinie der SPÖ „Kultur für alle“ bedeutet, ist der ÖVP besonders die Förderung der „Leuchttürme“ in den Städten und die Förderung der Volkskultur am Land ein Anliegen. In der Kombination der großen Koalition haben diese beiden Ansätze Österreich zu jener Kulturnation gemacht, in der wir heute leben. Eine Kulturnation mit vielen positiven Seiten, aber auch vielen negativen. Wenn man es überhaupt so nennen möchte: Es gibt ja auch die These, dass die Kulturnation Österreich eine Lüge sei.

Das künstlerische Schaffen Österreichs kann sich heute größtenteils frei von Zensur entfalten. Aber doch gibt es auch versteckte Zensur: Man kann gefällige Intendantinnen und Intendanten berufen, man kann nicht-gefälligen Kulturprojekten die Förderungen verweigern oder entziehen. Es gibt immer wieder einzelne Fälle und einzelne Politikerinnen und Politiker, die sich – oft unter unter dem Druck des Boulevards oder der rechten Parteien – zu Zensurmaßnahmen hinreißen lassen. Wir sind aber hoffentlich genau so weit entfernt von der künstlerischen Enge der 60er, 70er Jahre, wie wir es von den Umständen in Ländern wie Polen, Ungarn oder der Türkei sind. Die Kunst in Österreich ist frei, und sie muss es bleiben. Dafür muss nicht nur die aktuelle Regierung sorgen, dafür können und müssen wir alle sorgen.

Weiter: Wir haben uns eine unglaubliche Vielfalt in der Kulturlandschaft erarbeitet. Es gibt abseits der großen öffentlichen Einrichtungen in ganz Österreich ein etabliertes Netzwerk an freie Szene Initiativen. Initiativen, die Festivals ausrichten, Häuser für Theater, Film, Musik und bildende Kunst betreiben, die als Künstlerkollektiven arbeiten. Die von engagierten Menschen gegründet und betrieben wurden, die genug hatten von der bürgerlichen Welt der Elitenkultur. Doch diese sind heute oftmals in Gefahr. Ich komme aus Oberösterreich, ich weiß wovon ich spreche.

Seit dem Jahr 2001 sind die Förderungen für zeitgenössische Kunst und Kultur in Oberösterreich um 67% gesunken. Von drei Euros Anfang des Jahrtausends ist also heute nur noch einer übrig. Alleine im letzten Herbst wurden die Förderungen des Landes OÖ für zeitgenössische Kunst und Kultur um 17% gesenkt. Die Folge ist, dass nun auch der Bund weniger oder gar kein Geld mehr nach Oberösterreich schicken möchte. Ein doppelter Schaden droht, ganze Segmente brechen weg.

Ein paar Beispiele: Die Förderung von Kultur in Schulen wurde um 100% gesenkt. Die Förderung von Tanz- und Theaterprojekten wurde kurzzeitig ausgesetzt, der Ankauf von Kunstwerken sollte um 100% gestrichen werden, die Förderung von CD Produktionen wurde zur Gänze gestrichen. Förderungen für Literatur wurden um 34% gesenkt, für bildende Kunst und Musik um mehr als 30%. Für Film: um 28%. Und das bereits von beschämend niedrigen Niveaus aus. Die allgemeine Ankündigung der neuen Bundesregierung, die „Förderungen deutlich zu reduzieren“, lässt das schlimmste auch auf Bundesebene befürchten.

Nun gibt es jene, die glauben, dass Kunst und Kultur dem freien Markt alleine überlassen werden können. Die Nachfrage soll es regeln. Was keine Käuferinnen findet, braucht ja niemand. Das ist ein fataler Irrweg: Kunst und Kultur sind meritorische Güter, sie sind Teil einer geistigen Grundversorgung unserer Gesellschaft. So absurd es klingt: Von Kultur profitieren auch jene, die diese nicht aktiv konsumieren. In der Kultur kann Gesellschaft verhandelt und verändert werden, können Konflikte ausgetragen und reflektiert werden. Kultur nur den Marktkräften zu überlassen, würde bedeuten, dass die spitzen Kiesel unter dem Druck der Kommerzialisierung abgeschliffen werden. In einem 100%ig freien Markt hätten es weder eine Elfriede Jelinek noch ein Thomas Bernhard geschafft, zu jenen Größen zu werden, als welche man sie heute feiert.

Der gefährlichste Satz zu Kultur im neuen Regierungsprogramm heißt: „Weg vom Gießkannenprinzip“ Mit dieser Gießkanne wird – mehr schlecht als recht – die kulturelle Basis Österreichs erhalten, ohne die es keine Spitze geben kann. Ein Leuchtturm ohne ordentliches Fundament wird schnell in der Brandung untergehen. Wir dürfen nicht die Gießkannenförderung stoppen, im Gegenteil: In den letzten Jahrzehnten haben wir massiv die Leuchttürme ausgebaut, nun muss man wieder den Blick in die Breite richten. So wichtig die öffentlichen Museen, die Opernhäuser und die staatlichen Theater auch sein mögen: Sie können nicht alleine stehen. Was im Sport für alle klar ist, gilt auch in der Kultur: ohne Nachwuchsförderung, ohne Breitensport keine Spitzenleistungen. Ohne breite Kulturszene, die dynamisch und flexibel agieren kann, ohne Experimentierflächen für das Neue und verquere werden auch die großen Häuser austrocknen.

Wenn Österreich ein Kulturland sein will – nicht nur im Tourismus, sondern auch von der gesamten Bevölkerung gelebt – dann müssen wir viel größer denken. Wir brauchen kein Kleinklein in der Kulturpolitik, wir brauchen große Pläne und Visionen. Wir brauchen ein freies Kulturhaus in jeder Gemeinde, in jedem Tal. Wir brauchen nicht 5 Millionen mehr für Kunst und Kultur, wir brauchen eine Milliarde mehr! Wir dürfen in einem der reichsten Länder der Erde nicht darüber diskutieren, ob wir uns ein paar hundert Kulturarbeiterinnen und Kulturarbeiter überhaupt noch leisten können, wir brauchen 1000 neue. Wir müssen angelehnt an Kreisky das Land mit Kultur fluten, und so vielleicht auch die braunen Keller trockenlegen. Wir müssen die Kulturnation Österreich retten, vor der Ignoranz der Politik, vor den Kürzungsplänen der Neoliberalen, vor den ideologischen Attacken der Rechtsextremen und nicht zuletzt vor der eigenen Zufriedenheit.

Danke.

Foto: Dominik Tschütscher