Dieser Text ist erstmals in der KUPFzeitung #173/2020 erschienen.
«Wir werden bei den (Kultur-)förderungen kürzen, damit wir in die Zukunftsbereiche investieren können.» So kündigte Wirtschaftslandesrat a. D. Strugl im Jahr 2017 die Kürzungen im Kulturbereich an. Damit skizzierte er die Stoßrichtung der frisch formierten Landesregierung gut: Kultur, das ist die Vergangenheit. Die Zukunft, die er meinte, die war in der Wirtschaft zu Hause, in der gewinnorientierten natürlich. Denn das in der gemeinnützigen Kultur- und Sozialbranche eingesparte Geld wurde dann eben flugs dieser Wirtschaft zugeführt (siehe KTM).
Kulturpolitik und damit auch Kulturförderungen sind für Politiker*innen kaum noch sexy. Den Rang abgelaufen hat ihr der Diskurs um die Förderung der Kreativwirtschaft. Es gibt kaum einen Staat oder eine Stadt, der oder die nicht in den letzten Jahren ihre Creative Industries mit öffentlichen Förderungen gezielt auf- und ausgebaut hat. Dadurch sind Begrifflichkeiten in den politischen Sprachgebrauch gerutscht, die bisher zum Argumentationsrepertoire des Kunstsektors gehörten: Kaum eine politische Rede kommt heute ohne die Begriffe Kreativität, Innovation und Transformation aus. Die Frage, ob angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen von einer Ökonomisierung der Kultur oder doch eher von einer Kulturalisierung der Ökonomie zu sprechen ist, bleibt bislang unbeantwortet. Klar ist aber: Wer den Kopf in den Sand steckt, muss zusehen, wie seine Relevanz und Einfluss in der politischen Auseinandersetzung zunehmend schwinden.
Es sind Unternehmen wie Amazon, Facebook, Google, Tesla oder Uber, die heute in den Überlegungen zur Welt von morgen den Ton angeben. Und es sind die Start-ups und die Business Angels, die Zugang zur Politik haben und so ihr Denken, ihre Sprache und ihr Handeln wesentlich beeinflussen. Auf den diversen teuren, aber gut besuchten Creative Industries Summits und kreativwirtschaftlichen Fachkonferenzen geben sich Politiker*innen die Klinke in die Hand und reißen sich um einen Platz auf der Bühne. Bei kulturpolitischen Diskussionen müssen wir oft schon froh sein, wenn überhaupt Politiker*innen teilnehmen. Oberösterreichs Landeskulturreferenten und Landeshauptmann Stelzer haben wir trotz mehrfacher Einladung bis heute nicht zur Teilnahme an einer KUPF Veranstaltung bewegen können.
Was nun?
Wer heute eine Kulturinitiative gründet, sieht angesichts des Senioritätsprinzips im Subventionsbereich und der verkrusteten Förderstrukturen oft durch die Förderfinger. Hier entstehen Frustrationen, die dann die Hoffnung auf alternative Finanzierungsmöglichkeiten nähren. Kreativwirtschaftsfonds, Crowdfunding oder betriebswirtschaftliche Geschäftsmodelle wecken den Glauben an Unabhängigkeit. Warum also lange auf Förderzusagen der Kulturämter warten, wenn man dank billigster Produktionsmittel, freiem Wissen und offener Netzwerke sofort loslegen kann? Warum im Rahmen des kulturellen Experiments bleiben, wenn man wie die Waag Society in Amsterdam mit dem Fairphone die Grenze von der Kunst in die Realwirtschaft durchbrechen kann?
Es gibt ausreichend gute Gründe, angesichts der Vielzahl neuer Fragestellungen zumindest zu versuchen, neue Wege zu gehen. In dieser Hinsicht verdienen junge Perspektiven auf alle Fälle eine Chance, sich von den Dogmen vorangegangener Generationen zu lösen und eine neue künstlerische, kulturelle sowie mediale Praxis zu erproben. Dies muss gar nicht in Widerspruch zu den Ansprüchen auf Erhaltung und Ausbau von Gemeinwohl und öffentlicher Sphäre treten. Auf einer theoretischen Ebene finden sich dazu Ansätze im Beschleunigungsmanifest für eine akzelerationistische Politik von den beiden US-Amerikanern Nick Srnicek und Alex Williams. Am Beginn dieses Manifests steht eine schonungslose Selbstkritik:
«Dass die rechtskonservativen Kräfte innerhalb und außerhalb der Regierungen sowie die Unternehmen den Neoliberalismus immer weiter vorantreiben konnten, ist zumindest teilweise die Folge der anhaltenden Lähmung und Ineffizienz dessen, was von der Linken übrig geblieben ist. Dreißig Jahre Neoliberalismus haben die meisten linksorientierten Parteien aller radikalen Ideen beraubt, ausgehöhlt und ohne Mandat der Bevölkerung zurückgelassen. […] Die wichtigste Trennlinie innerhalb der zeitgenössischen Linken verläuft zwischen Vertreter[*inne]n einer Politik des folkloristischen Lokalismus, der direkten Aktionen sowie des grenzenlosen Horizontalismus und den Anhänger[*inne]n einer Politik, die akzelerationistisch zu nennen ist, einer Politik, die sich in einer Moderne der Abstraktion, Komplexität, Globalität und Technologie zu Hause fühlt. Erstere begnügen sich damit, provisorische KleinstRäume für nichtkapitalistische Sozialbeziehungen zu errichten und so den echten Problemen aus dem Weg zu gehen, die die Konfrontation mit einem Feind, der seinem Wesen nach nichtlokal, abstrakt und tief in der Infrastruktur unseres Alltags verankert ist, mit sich bringt. Das Scheitern ist einer solchen Politik von Beginn an eingeschrieben. Die akzelerationistische Politik hingegen versucht die Errungenschaften des Spätkapitalismus zu bewahren und zugleich weiter zu gehen, als es sein Wertesystem, seine Regierungsstrukturen und seine Massenpathologien erlauben.»
Wer muss beim provisorischen Kleinst-Raum für nichtkapitalistische Sozialbeziehungen nicht an den kleinen Kulturverein um die Ecke denken? Oder an das kleine politische Zine aus dem Freundeskreis? Die Stoßrichtung der Akzelerationist*innen ist simpel: Wir müssen den Fortschritt wieder zurückerobern. Und das auf allen Ebenen – der Gestaltungsanspruch darf nicht im eigenen Dorf, im eigenen Bezirk enden. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie Konzerne und kapitalistische Ausbeutung den Kulturbereich zerstören.
Wir sehen in Europa gerade eine ähnliche Entwicklung wie in den USA einsetzen, wo beispielsweise Konzerne wie Ticket Nation mit einem Umsatz von mehr als 10 Milliarden Dollar auf Monopolstellungen im Musikbereich zusteuern. Wer vom Veranstaltungsort, Ticketverkauf, von der Künstler*innenagentur bis zum Merchverkauf alle Aspekte kontrolliert, hat ohne Zweifel immensen Einfluss auf die Frage, welche Musik gehört wird. Dass die KUPF OÖ vor zwei Jahren mit einer eigenen Ticketplattform an den Start gegangen ist, kann vor diesem Hintergrund gesehen werden. Wie ein Kollege aus einer kleinen Bookingagentur kürzlich meinte, «ist KUPFticket das revolutionärste, was man in dem Bereich machen kann». Auch wenn dieses Projekt noch ein zartes Pflänzchen ist, so hat es das Potential, eine Lücke in das Bollwerk Ö-Ticket / Eventim zu schlagen, das mit seiner Marktmacht absurde Preise und Knebelverträge durchsetzen kann.
Wenn wir eine andere Gesellschaft wollen, müssen wir groß denken. Auch wenn es im mühseligen Kulturarbeits-Alltag schwierig erscheint, wir müssen uns darauf verständigen, wohin wir als Kulturszene wollen. Welche Plattformen brauchen wir jetzt und in der Zukunft? Welches Know-how müssen wir uns aneignen? Welche Netzwerke müssen wir spannen, wer sind unsere Bündnispartner*innen? Wie können wir unsere Position nach Jahren einer neoliberalen Durchdringung unserer Gesellschaft wieder strategisch stärken? Sind unsere Strukturen, unsere Kommunikation, unsere Handlungsweisen noch zeitgemäß?
Wer der neoliberalen Logik etwas entgegenstellen will, muss auf diese Fragen konkrete Antworten finden. Und aus der der Kulturszene manchmal innewohnenden Abwehrhaltung eine positive Lust an der Zukunftsgestaltung machen. Dann klappt’s vielleicht auch wieder mit der Aufmerksamkeit der Politik.
Der Text basiert teilweise auf einem gemeinsam mit Martin Wassermair verfassten und 2017 im Facultas Verlag erschienen Beitrag für die Publikation Kultur und Politik: Reflexion oder Aktion?