Von Gießkannen und Leuchttürmen

Foto: Dominik Tschütscher

Diese Rede habe ich im Rahmen des Diagonale’18 Film Meeting in Graz am 14. März 2018 als Input für einen Diskussionsrunde zur österreichischen Kulturpolitik gehalten:

Sehr geehrte Damen und Herren,

danke für die Einladung und die Gelegenheit, dass ich hier in diesem wunderschönen Saal sprechen darf. Ich muss vorweg sagen, dass ich kein Experte der Filmbranche bin, hier kennen sie alle sich sicher besser aus als ich. In der Anfrage hat es aber geheißen, es soll um Österreichs Kulturpolitik gehen, und hier kann ich hoffentlich etwas beitragen.
Nun hätten an der anschließenden Diskussion auch der aktuelle Kulturminister Blümel sowie der ehemalige Kulturminister Drozda teilnehmen sollen. Es ist schade, dass sie nicht hier sind, sind es doch deren beide Parteien, die maßgeblich die Kulturpolitik Österreichs in den letzten Jahrzehnten geprägt haben.

Man kann hier von zwei unterschiedlichen Paradigmen sprechen: Während die zentrale Leitlinie der SPÖ „Kultur für alle“ bedeutet, ist der ÖVP besonders die Förderung der „Leuchttürme“ in den Städten und die Förderung der Volkskultur am Land ein Anliegen. In der Kombination der großen Koalition haben diese beiden Ansätze Österreich zu jener Kulturnation gemacht, in der wir heute leben. Eine Kulturnation mit vielen positiven Seiten, aber auch vielen negativen. Wenn man es überhaupt so nennen möchte: Es gibt ja auch die These, dass die Kulturnation Österreich eine Lüge sei.

Das künstlerische Schaffen Österreichs kann sich heute größtenteils frei von Zensur entfalten. Aber doch gibt es auch versteckte Zensur: Man kann gefällige Intendantinnen und Intendanten berufen, man kann nicht-gefälligen Kulturprojekten die Förderungen verweigern oder entziehen. Es gibt immer wieder einzelne Fälle und einzelne Politikerinnen und Politiker, die sich – oft unter unter dem Druck des Boulevards oder der rechten Parteien – zu Zensurmaßnahmen hinreißen lassen. Wir sind aber hoffentlich genau so weit entfernt von der künstlerischen Enge der 60er, 70er Jahre, wie wir es von den Umständen in Ländern wie Polen, Ungarn oder der Türkei sind. Die Kunst in Österreich ist frei, und sie muss es bleiben. Dafür muss nicht nur die aktuelle Regierung sorgen, dafür können und müssen wir alle sorgen.

Weiter: Wir haben uns eine unglaubliche Vielfalt in der Kulturlandschaft erarbeitet. Es gibt abseits der großen öffentlichen Einrichtungen in ganz Österreich ein etabliertes Netzwerk an freie Szene Initiativen. Initiativen, die Festivals ausrichten, Häuser für Theater, Film, Musik und bildende Kunst betreiben, die als Künstlerkollektiven arbeiten. Die von engagierten Menschen gegründet und betrieben wurden, die genug hatten von der bürgerlichen Welt der Elitenkultur. Doch diese sind heute oftmals in Gefahr. Ich komme aus Oberösterreich, ich weiß wovon ich spreche.

Seit dem Jahr 2001 sind die Förderungen für zeitgenössische Kunst und Kultur in Oberösterreich um 67% gesunken. Von drei Euros Anfang des Jahrtausends ist also heute nur noch einer übrig. Alleine im letzten Herbst wurden die Förderungen des Landes OÖ für zeitgenössische Kunst und Kultur um 17% gesenkt. Die Folge ist, dass nun auch der Bund weniger oder gar kein Geld mehr nach Oberösterreich schicken möchte. Ein doppelter Schaden droht, ganze Segmente brechen weg.

Ein paar Beispiele: Die Förderung von Kultur in Schulen wurde um 100% gesenkt. Die Förderung von Tanz- und Theaterprojekten wurde kurzzeitig ausgesetzt, der Ankauf von Kunstwerken sollte um 100% gestrichen werden, die Förderung von CD Produktionen wurde zur Gänze gestrichen. Förderungen für Literatur wurden um 34% gesenkt, für bildende Kunst und Musik um mehr als 30%. Für Film: um 28%. Und das bereits von beschämend niedrigen Niveaus aus. Die allgemeine Ankündigung der neuen Bundesregierung, die „Förderungen deutlich zu reduzieren“, lässt das schlimmste auch auf Bundesebene befürchten.

Nun gibt es jene, die glauben, dass Kunst und Kultur dem freien Markt alleine überlassen werden können. Die Nachfrage soll es regeln. Was keine Käuferinnen findet, braucht ja niemand. Das ist ein fataler Irrweg: Kunst und Kultur sind meritorische Güter, sie sind Teil einer geistigen Grundversorgung unserer Gesellschaft. So absurd es klingt: Von Kultur profitieren auch jene, die diese nicht aktiv konsumieren. In der Kultur kann Gesellschaft verhandelt und verändert werden, können Konflikte ausgetragen und reflektiert werden. Kultur nur den Marktkräften zu überlassen, würde bedeuten, dass die spitzen Kiesel unter dem Druck der Kommerzialisierung abgeschliffen werden. In einem 100%ig freien Markt hätten es weder eine Elfriede Jelinek noch ein Thomas Bernhard geschafft, zu jenen Größen zu werden, als welche man sie heute feiert.

Der gefährlichste Satz zu Kultur im neuen Regierungsprogramm heißt: „Weg vom Gießkannenprinzip“ Mit dieser Gießkanne wird – mehr schlecht als recht – die kulturelle Basis Österreichs erhalten, ohne die es keine Spitze geben kann. Ein Leuchtturm ohne ordentliches Fundament wird schnell in der Brandung untergehen. Wir dürfen nicht die Gießkannenförderung stoppen, im Gegenteil: In den letzten Jahrzehnten haben wir massiv die Leuchttürme ausgebaut, nun muss man wieder den Blick in die Breite richten. So wichtig die öffentlichen Museen, die Opernhäuser und die staatlichen Theater auch sein mögen: Sie können nicht alleine stehen. Was im Sport für alle klar ist, gilt auch in der Kultur: ohne Nachwuchsförderung, ohne Breitensport keine Spitzenleistungen. Ohne breite Kulturszene, die dynamisch und flexibel agieren kann, ohne Experimentierflächen für das Neue und verquere werden auch die großen Häuser austrocknen.

Wenn Österreich ein Kulturland sein will – nicht nur im Tourismus, sondern auch von der gesamten Bevölkerung gelebt – dann müssen wir viel größer denken. Wir brauchen kein Kleinklein in der Kulturpolitik, wir brauchen große Pläne und Visionen. Wir brauchen ein freies Kulturhaus in jeder Gemeinde, in jedem Tal. Wir brauchen nicht 5 Millionen mehr für Kunst und Kultur, wir brauchen eine Milliarde mehr! Wir dürfen in einem der reichsten Länder der Erde nicht darüber diskutieren, ob wir uns ein paar hundert Kulturarbeiterinnen und Kulturarbeiter überhaupt noch leisten können, wir brauchen 1000 neue. Wir müssen angelehnt an Kreisky das Land mit Kultur fluten, und so vielleicht auch die braunen Keller trockenlegen. Wir müssen die Kulturnation Österreich retten, vor der Ignoranz der Politik, vor den Kürzungsplänen der Neoliberalen, vor den ideologischen Attacken der Rechtsextremen und nicht zuletzt vor der eigenen Zufriedenheit.

Danke.

Foto: Dominik Tschütscher

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