Zur Auflockerung der alte Schmäh „Welche Begriffsdefinition steht im Duden auf Wikipedia“;
Agenda: Das zu Treibende oder zu Tuende, d.h. das, was getan werden muss.“
Die Kulturstadt Linz hat jetzt also eine Agenda zur freien Szene, eine Reaktion auf den offenen Brief der freien Szene, den ich mitverfasst und unterzeichnet habe. Damit haben sich die politischen VertreterInnen, der Definition folgend, sich also eingestanden, dass etwas für die freie Szene getan werden muss.
Ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, denn in den vergangen Jahren wurden die Beschwerden der freien Szene oft entweder ignoriert oder deren Lösung mit Verweis auf Heilsbringern wie dem Kulturhauptstadtjahr schlicht vertagt. Das große Medienecho auf den offenen Brief, die Lightkultur-Proteste und die wissenschaftliche Grundlagenarbeit zum Kulturentwicklungsplan Neu haben nun allerdings endlich genug Druck aufgebaut, um Hoffnung auf eine substantielle Änderung im Linzer Kultursubventionswesen und im Umgang mit der freien Szene aufkommen zu lassen.
Was ist zu dieser Agenda gekommen?
Im Dezember wurde, auf Drängen vom Kultursprecher der Grünen Linz Severin Mayr und mir, der offene Brief im Kulturausschuss des Gemeinderats behandelt. Wie so oft wurde darauf hin die Verwaltung, in Person vom Kulturdirektor Julius Stieber, beauftragt, sich mit dem Brief auseinander zu setzen. Weiters gab es einen Gesprächstermin mit dem Kulturreferenten Erich Watzl, Julius Stieber und VertreterInnen der freien Szene. Aus den Erkenntnissen dieses Gesprächs heraus hat der Kulturdirektor nun die vorliegende Agenda geschrieben. Sie wurde heute im Linzer Kulturausschuss besprochen und deren Kommunikation nach außen über den Stadtkulturbeirat beschlossen. Da ich dort als Vertreter der freien Szene im Vorsitz sitze, nehme ich mir nun die Freiheit heraus, diese hier zu veröffentlichen.
Was steht nun also in dieser Agenda?
Auf den ersten Seiten reflektiert Stieber über die Entwicklung der freien Szene und zollt ihr Anerkennung:
Linz hat sich seit den 1980er Jahren mit der Stadtwerkstatt, dem Theater Phönix, dem Moviemento, vielen anderen Initiativen und vielen Einzelkünstlerinnen und -künstlern als spannender und innovativer Standort einer Freien Kunst- und Kulturszene in Österreich und darüber hinaus einen Namen gemacht.
Und auch seine Definition der Rolle der freien Szene ist eine, die sich mit der Eigenwahrnehmung deckt und die ich durchaus unterschreiben würde:
Zum einen ist sie eine der Säulen einer innovativen Kulturentwicklung in Linz, die Freiraum für Experimente nutzt, jungen Talenten eine Chance gibt sowie zeitaktuell und rasch auf Strömungen und Themen der Gegenwart reagieren kann. […] Zum anderen trägt sie wesentlich zum gesellschaftspolitischen Diskurs in der Stadt bei, sei es über die Freien Medien als kritische Stimmen in der Stadt, sei es über Stadtteilprojekte, die Defizite der Stadtentwicklung bearbeiten, sei es durch Diskussionen über Themen wie die Verlandung des Linzer Hafens oder das Zusammenleben unterschiedlicher Ethnizitäten, oder über Theater- und Kulturinitiativen, die zeitaktuelle Themen zu ihrem Anliegen machen und gesellschaftlichen Randthemen ein Forum geben. Freie Kunst- und Kulturszene bedeutet für die Stadt ein kritisches Korrektiv und ein künstlerisch-innovatives Potenzial, das auch das moderne, dynamische, zukunftsorientierte Image der Stadt Linz bis heute mit Leben und Inhalten gefüllt hat.
Schön zu hören, und wohl auch eine Darstellung, welche die meisten PolitikerInnen zwar selten so formulieren, aber auch nicht in Abrede stellen würden. Doch der hehren Worte genug, er kommt ohne Umschweife schon im ersten Absatz zum wohl wichtigsten Befund:
„Die generellen Rahmenbedingungen für die Freie Kunst- und Kulturszene haben sich allerdings in den letzten Jahren – insbesondere durch stagnierende Budgets – zugespitzt. Das Entwicklungspotenzial kann dadurch nicht voll entfaltet werden […] Anlass, grundsätzlich über Möglichkeiten der budgetären und strukturellen Weiterentwicklung nachzudenken.“
Schwarz auf Weiß steht es da, die Kulturstadt Linz gesteht sich ein, dass ihre freie Kunst- und Kulturszene durch die Budgetsituation gefährdet ist. Und wer Martin Hellers Vision „Linz muss 2015 die spannendste Stadt Österreichs sein“ so wie ich eher als Drohung wahrgenommen hat, der wird sich über Stiebers Linz des Jahres 2020 freuen:
Ein Linz des Jahres 2020 sollte ein Linz sein, dass die Existenzbedingungen für Kunst- und Kulturschaffende wesentlich verbessert hat und als Hot Spot einer innovativen Freien Kunst- und Kulturszene in Österreich und auch im Ausland wahrgenommen wird.
Die Linz Kultur hat ihre vorgeschlagenen Maßnahmen auf vier Punkte zusammengefasst, die ich mir im folgenden ansehen möchte:
- Finanzielle Ressourcen optimieren
- Raumressourcen sichern
- Kooperationen ermöglichen
- Öffentlichkeit schaffen
Finanzielle Ressourcen optimieren
Finanzielle Ressourcen optimieren: Unter den gegebenen finanziellen Rahmenbedingungen ist diese Aufgabe die größte Herausforderung. Es ist zu erwarten, dass sich die finanzielle Lage der Stadt Linz in den nächsten Jahren aufgrund der allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht wesentlich verbessern wird. Daher muss vornehmlich nach internen Ressourcen und Umschichtungsmöglichkeiten gesucht werden. Weitere Potenziale liegen in einer besseren Nutzung von EU-kofinanzierten Projekten, wie das bereits in Ansätzen praktiziert wird (z.B. Die Fabrikanten, Time’s Up). Und nicht zuletzt stellt ein effizientes Lobbying für die Anliegen der Freien Kunst- und Kulturszene Linz in Richtung Land und Bund ebenfalls Chancen einer Verbesserung dar.
Auch wenn ich dem ewig wiedergekäuten Mantra der schlechten finanziellen Lage keine Aufmerksamkeit schenken möchte (kann sich jemand an gute finanzielle Zeiten erinnern?), der zentrale Satz ist die die Ankündigung der Suche nach Umschichtungen im Kulturbudget. Dieses ist 2012 in Linz um sieben Millionen Euro (!) auf gewaltige 56 Millionen Euro gestiegen – der Anteil der freien Szene daran wird wohl weiter bei circa 1,2 – 1,4 Millionen Euro liegen. Dieser geringe Anteil, den sich immerhin mehr als fünfzig Kulturvereine und hunderte EinzelkünstlerInnen teilen müssen, ist vor Allem einer Parteipolitik geschuldet, die die KünstlerInnen und Kulturschaffende seit Jahren als Spielball zwischen ÖVP und SPÖ missbraucht. Die SPÖ gönnt dem ÖVP-Kulturreferenten kein höheres Ermessensbudget, aus dem die freie Szene gefördert wird, aus Angst, dass dieses nicht bei den richtigen EmpfängerInnen ankommt. Die ÖVP wiederum hat scheinbar keinen Anreiz an diesen Rahmenbedingungen zu rütteln, hätte sie doch in den letzten Jahren genug Zeit gehabt, sich dazu öffentlich zu äußern.
Aber immerhin, jetzt hat auch die Kulturverwaltung bestätigt, die freie Szene braucht mehr Geld. Ob das dann aus Umschichtungen innerhalb des Budgets, also von Verwaltung und Institutionen hin zur freien Szene, oder aus Aufstockungen kommt, kann uns herzlich egal sein. Das forcierte Lobbying auf Landes- und Bundesebene und die Forcierung von EU-Projekten sind positiv zu sehen, allerdings an der konkreten Umsetzung zu messen.
Raumressourcen sichern
Neben der Sicherung der finanziellen Ressourcen stellt die aktuelle Raumnot für viele Kunst- und Kulturschaffende ein akutes Problem dar. Betreffend Leerstandsnutzungen wurden mehrere Male seitens des Stadtkulturbeirates Anregungen und Vorschläge gemacht. In der aktuellen Situation stellt sich die Lage folgendermaßen dar: Zum einen gibt es mit dem Areal der Tabakfabrik Linz einen städtischen Leerstand, der genügend Raumressourcen auch für Initiativen und Projekte der Freien Kunst- und Kulturszene bieten würde. Zum anderen gibt es mit der neu geschaffenen Creative.Region Linz & Upper Austria GmbH einen Ansprechpartner, der sich derzeit um eine strategische Neuausrichtung des Kreativschaffens in der Stadt bemüht. Durch die zahlreichen personellen und institutionellen Überschneidungen des Kreativwirtschafts- und Kunstsektors wird Linz Kultur im Hinblick auf die Raumressourcen mit der Creative. Region Linz & Upper Austria GmbH im Rahmen des KEP neu einen entsprechenden Maßnahmenplan erarbeiten. Ferner ist es aber auch wichtig, nicht aus den Augen zu verlieren, dass abseits der Tabakfabrik zahlreiche Leerstände im innerstädtischen Bereich existieren, die für KünstlerInnen und Kulturschaffende attraktiv sind.
Die Linz Kultur möchte sich in Zukunft als Mittlerin zwischen den Kunstschaffenden und den LeerstandsbesitzerInnen betätigen, so Stieber. Eine gute Idee, die natürlich ebenfalls an ihrer Umsetzung zu bewerten sein wird. Auch wurde die Freie Szene Initiative Fruchtgenuß lobend hervorgehoben. Es wäre schön, würde dieser eine Basisförderung für ihre innovative Arbeit zu teil – arbeitet dran, Jungs und Mädels! In Bezug auf die Tabakwerke möchte ich an dieser Stelle nicht mehr sagen, es bewegt sich derzeit viel und es bleibt abzuwarten, wie sich das aktuelle Momentum strukturell verfestigen kann.
Kooperationen ermöglichen
Eine zusätzliche Möglichkeit, um die finanzielle Situation der Freien Kunst- und Kulturszene zu verbessern, stellen Kooperationen mit den institutionellen Partnern aus Stadt und Land dar. Kooperationen werden schon bislang im Rahmen der Ars Electronica, des Lentos, des Nordico oder des LINZFESTs mit VertreterInnen der Freien Kunst- und Kulturszene gepflegt. Um hier die Möglichkeiten zu erweitern und faire finanzielle Rahmenbedingungen (echte Auftragsverhältnisse) für die Freie Kunst- und Kulturszene zu entwickeln, wird überlegt, dafür ein Netzwerk mit allen städtischen Kultureinrichtungen zu installieren.
Gedacht ist an fixe Kontaktpersonen in den einzelnen Häusern, die für Anliegen und Projekte der Freien Kunst- und Kulturszene zuständig sind. Weiters aber auch an die Entwicklung eines Portfolios, welches das Potenzial der Freien Kunst- und Kulturszene ausweist und die Andockmöglichkeiten bei den institutionellen Einrichtungen beschreibt. Für das nächste Pflasterspektakel ist z.B. eine fixe Einbeziehung von Projekten der Freien Kunst- und Kulturszene als erste Maßnahme bereits eingeplant.
Die Idee der fixen Ansprechpartner wurde im Übrigen in einem KEP-Workshop geäußert, ich halte das selbst für eine sehr gute Idee. Magnus Hofmüller hat beispielsweise im Lentos diese Rolle bisher sehr gut übernommen. Wichtig ist, die faire Partnerschaft als Voraussetzung für eine fruchtende Zusammenarbeite zu betonen. Es kam und kommt durch den längeren Ast-Effekt immer wieder zum Ausnutzen der prekären Lage der freien Kunst- und Kulturschaffenden durch die Kulturinstitutionen. Ich möchte hier anregen, dass die Linzer Kulturinstitutionen verpflichtend die Honorarsätze als Grundlage nehmen, die im Rahmen der Fair Pay-Kampagne der IG Kultur erarbeitet wurden. Die Idee des Portfolios ist mir noch zu wage, um mich dazu äußern zu können.
Öffentlichkeit schaffen
Ein weiteres Defizit in der täglichen Arbeit der Freien Kunst- und Kulturszene ist die mangelnde öffentliche Aufmerksamkeit in der oberösterreichischen Medienlandschaft sowie die ungenügende Sichtbarkeit in der Stadt selbst. Öffentlichkeit zu schaffen ist daher ein wesentlicher Baustein zur Verbesserung der Situation, da dadurch nicht nur mehr Publikum und in der Folge mehr Einnahmen für freie Veranstaltungshäuser zu erzielen sind, sondern die Arbeit der Freien Kunst- und Kulturszene generell stärker in die öffentliche Wahrnehmung rückt und dadurch aufgewertet wird. Notwendig ist dies trotz der relativ starken Präsenz von Freien Medien in Linz (Radio FRO, versorgerin, dorf.tv, servus.at, junQ.at), da diese zwar die szeneinterne Kommunikation sicherstellen und partiell auch über diesen Kreis hinauswirken, eine echte Medienoffensive dadurch jedoch nicht zu schaffen ist.
Die adressiert zwei Hauptkritikpunkte der Linzer Kulturszene: Das Verschwinden der freien Plakatflächen aus dem öffentlichen Raum sowie der Verlust des Szenemagazins spotsZ. Ich teile die Auffassung Stiebers, dass dies wohl auch der schwierigste Punkt in der Umsetzung sein wird. Denn die Beratungsresistenz der Lokalmedien ist bekannt und berüchtigt (auch wenn ein gewisser Jürgen zumindest die Linzer Tips einigermaßen auf Vordermann gebracht hat). Ich bin jedenfalls gespannt, wie die konkrete Maßnahmensetzung hier aussehen wird.
Fazit!
Die vorliegende Agenda der Stadt Linz markiert einerseits eine Trendwende im Umgang mit der freien Szene. Erstmals werden die Problemstellungen anerkannt und es wird aktiv nach Lösung gesucht. Besonders im Rahmen des KEP Neu Prozesses wird man also konkreten Maßnahmen entwickeln müssen um der eigenen Agenda gerecht zu werden. Und im Endeffekt wird man nicht darum herumkommen, die Förderung der freien Szene substantiell zu erhöhen.
Andererseits liegt es nun an der freien Szene, die Lösung dieser Problemstellungen auch aktiv einzufordern. Nicht nur im Rahmen des KEP Prozesses, sondern auch im Rahmen jener politischen Kampagne, die wir letztes Jahr mit dem offenen Brief begonnen haben.
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