oder: Wie man Einfluß auf EU-Gesetze nimmt.
Wahrscheinlich nur wenige Menschen bekommen einen tieferen Einblick in jene Prozesse auf EU-Ebene, die zu neuen gesetzlichen Regelungen führen. Intransparenz und Realitätsferne werden der EU oft unterstellt. Doch die Herausforderung einen Konsens im europäischen Staatenverbund mit seinen 400 Millionen BürgerInnen, 27 Mitgliedsstaaten und tausenden Interessensverbänden zu finden ist eine große, wie vor kurzem auch US-Präsident Obama bemerkte: „Es gibt wirklich viele Institutionen hier in Europa.“
Ich hatte vor kurzem erstmals die Chance, mich in einen solchen Prozess einzuklinken. Die europäische Kommission möchte eine neue Regelung für so genannte verwaiste Werke finden, also Bücher, Musikstücke und so weiter, deren UrheberInnen und RechteverwerterInnen nicht mehr bekannt sind. Die Nutzung solcher Werke ist nämlich derzeit, unabhängig von einer vorausgehenden Recherche, eigentlich eine UrheberInnen-Rechtsverletzung und kann zu einer Klage führen, sollte ein rechtmässiger Erbe oder Urheber später auftauchen.
Die europäische Kommission hat nun einen Vorschlag erarbeitet, der nun von den Mitgliedsländern begutachtet wird. Diese müssen den Vorschlag nach Verabschiedung auf EU-Ebene dann in nationales Recht umwandeln, denn Urheberrecht ist noch immer eine Domäne der Nationalstaaten. Dafür tagt eine eigene Arbeitsgruppe in Brüsel, die sich aus VertreterInnen der Kommission und Spitzenbeamten der Mitgliedsländer zusammen setzt. Diese wiederum versuchen, zumindest in Österreich, in Kontakt mit allen betroffenen Stakeholdern zu stehen, und einer von den 200 AdressatInnen im Mailverteiler bin ich.
Wie ihr vielleicht wisst, arbeite ich seit mehreren Jahren für das Projekt Cultural Broadcasting Archive, das CBA, getragen vom Verband freie Radios Österreich, dem VFRÖ. Es ist das größte frei zugängliche Rundfunkarchivs Österreich, und auch eines der größten Europas, und hat sich der Bewahrung des kulturellen Erbes besonders der zivilgesellschaftlichen Bewegung verschrieben. Und so ist natürlich das Urheberrecht auch für uns ein großes Thema, wobei wir die NutzerInnen anregen, ihre Werke unter einer Copyleft-Lizenz, nämlich unter Creative Commons freizugeben. Wir haben uns jedenfalls in den Diskurs eingeklingt, im August habe ich eine Stellungnahme für den VFRÖ verfasst:
Darin steht unter anderem:
Der Entwurf bezieht sich durchgehend auf die Nutzung verwaister Werke durch „öffentlich zugängliche Bibliotheken, Bildungseinrichtungen oder Museen sowie Archive, im Bereich des Filmerbes tätige Institute und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten.“
Unserer Ansicht nach ist es unabdingbar, die gesonderte Anführung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten um die nicht-kommerziellen Rundfunkanstalten zu erweitern. Nicht-kommerzielle Rundfunkanstalten gemäß PrRG sind mittlerweile europaweit etabliert, ihre Positionierung als dritte Säule des Rundfunksystems hat sich im politischen und wissenschaftlichen Diskurs verankert. Die EU-Kommission hat erst vor kurzem den Fond zur Förderung des Nicht-kommerziellen Rundfunks der RTR (Rundfunk & Telekom Regulierungs-GmbH) notifiziert und damit ein klares Bekenntnis zum nichtkommerziellen, freien Rundfunk abgebeben1. Weiters möchten wir auf die Resolution des Europäischen Parlaments von 2008 und auf die Deklaration des Europarats von 2009 hinweisen. Beide anerkennen die Verdienste und Potentiale des nicht-kommerziellen Rundfunks für die Demokratisierung unserer Gesellschaft, die Informations- und Meinungsäußerungsfreiheit und die Pluralität unseres kulturellen Schaffens. Auch die Unesco-Kommission gibt der Förderung „Community Media“ höchste Priorität im Kontext unserer modernen Wissensgesellschaft.
Auch wenn die audio-visuellen Archive der meist sehr jungen nicht-kommerziellen Rundfunkanstalten im Vergleich zu den öffentlich-rechtlichen noch eine überschaubare Größe haben, so sind diese definitiv mit der selben Problematik im Bezug auf verwaiste Werke konfrontiert. Besonders durch ihren starken zivilgesellschaftlichen Bezug ist es im öffentlichen Interesse, die Öffnung der Archive nicht-kommerzieller Rundfunkanstalten zu unterstützen und sie auf eine rechtlicher Ebene mit den öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten zu stellen.
Einen Monat später bekomme ich mit einem Protokoll der Arbeitsgruppen-Sitzung einen neuen Entwurf zugesandt, und durfte mich freuen. Einige meiner Forderungen sind dank der engagierten Beamten des BMJ – oder natürlich vielleicht auch dank anderer engagierter Menschen, so genau ist das nicht nachvollziehbar – in den neuen Text eingeflossen:
„Libraries, museums, archives, educational establishments, film or audio heritage institutions and public service broadcasting organisations are engaged in large-scale digitisation of their collections or archives in order to create European Digital Libraries.“
„In order to promote learning and the dissemination of culture, Member States should permit certain […] organisations, namely those referred to in Article 5(2)(c) of Directive 2001/29/EC and film or audio heritage institutions, which operate on a non-profit making basis, as well as public service broadcasting organisations, to make available and reproduce orphan works, provided such use fulfils their public interest missions, notably preservation, restoration and the provision of cultural and educational access to works contained in their collections.“
Das heißt, wenn die Richtlinie auf EU-Ebene so verabschiedet wird, dürfen nicht-kommerzielle Archive wie das CBA in Zukunft verwaiste Werke – nach vorheriger rechtlicher Klärung – nutzen.
Gar nicht so kompliziert, das mit der EU.
Naja, kompliziert ist das schon mit der EU. Aber in diesem Fall eine gute Sache. Gratuliere!!!
Danke! =)