Linz09 – Bilanz ziehen?

Der folgende Beitrag wurde in der heute erschienen KUPFZeitung 151 veröffentlicht:

Ziehen tut man nicht nur den Strudelteig, sondern auch Bilanzen. Für den perfekten Apfelstrudel gibt es wahrscheinlich eben- so viele Techniken wie Köch*innen. Ähnlich verhält es sich beim Ziehen von Bilanzen. Während in der Küche aber das Ziel, der gelungene Strudel, bei allen das selbe ist, entscheidet beim Bilanzieren die eigene Position über das Endergebnis. Ein Backversuch:

Kupfzeitung-151-screenIn der 2010 erschienen Broschüre «Eine Bilanz – Linz 2009» nannte Intendant Martin Heller Linz09 ein sich lohnendes Wagnis, während sich Altbürgermeister Dobusch und Ex-Kulturministerin Schmied über die gelungene Präsentation als moderne, offene und lebendige Kulturstadt freuten. Landeshauptmann Josef Pühringer wiederum war sichtbar stolz auf die vielen neuen Kulturbauten und Parteikollege Erich Watzl, vormals Kulturstadtrat, dankte besonders der Wirtschaft, Hotellerie und Gastronomie für ihren Beitrag, den Künstler*innen und Kulturschaffenden im Übrigen nicht.

Wer heute die offizielle Homepage besucht, kann folgendes lesen: «Die BesucherInnen sind diejenigen, die über den Erfolg eines Kulturhauptstadtjahres entschieden haben» und «Linz09 kann auch als touristische Erfolgsgeschichte gesehen werden: […] Linz konnte ein Nächtigungsplus von 9,5 % verzeichnen.» In Kürze wird anlässlich des fünfjährigen Jubiläums erneut Bilanz zum Europäischen Kulturhauptstadtjahr gezogen, diesmal vom Tourismusverband Linz[1]. Ziel der Veranstaltung liegt laut Einladungstext in der Darstellung der Zusammenarbeit zwischen Kultur und Tourismus und in «kritischer Reflexion». Damit derlei Selbstkritik aber im richtigen Rahmen bleibt, wird zur Sicherheit klargestellt, dass Linz09 hinsichtlich Programm, Durchführung und Nachhaltigkeit nun das best practice Beispiel in Europa sei.

Analysiert man diese verschiedenen Bilanzen, ist es ein Leichtes, auf die Erwartungshaltungen an das Kulturhaupstadtjahr im Speziellen und auf die dahinterstehenden kulturpolitischen Vorstellungen im Allgemeinen zu schließen. Jede dieser Bilanzen ist ohne große Mühe als Abbild und Produkt des jeweiligen politischen Umfelds oder der jeweiligen politischen und organisatorischen Funktion(-en) zu interpretieren. Darauf möchte ich im Detail aber nun verzichten und lieber versuchen, eine allgemeinere These herauszuarbeiten:

Umwegargumentationen

Aus den angeführten Bilanzen lässt sich nämlich viel über den Rechtfertigungsdruck von Kunst und Kultur im Allgemeinen sagen. Gerade bei einem so großen, mit 60 Millionen Euro durch die öffentliche Hand subventionierten Prestigeprojekt wie Linz09. Förderungen solcher Dimensionen werden in Bereichen wie der Wirtschaft ohne viel Aufhebens im Wochentakt vergeben. Geht es um die Förderung von Kunst und Kultur, gar zeitgenössischer, werden aber ganz andere Register gezogen. Wo es im Wirtschaftsbereich oft reicht, die geschaffenen Arbeitsplätze zu quantifizieren, da sollte die Kunst zumindest gleichzeitig das internationale Image verbessern, die lokale Wirtschaft stärken, einen Beitrag zur Demokratisierung leisten und dann bitte auch noch unterhalten und zum Denken anregen. Am besten natürlich alles gleichzeitig.

Je größer die Förderung, desto eher wird diese Beweisführung der Kulturnützlichkeit auch öffentlich verteidigt: Bei Förder-Ankündigungen, Eröffnungsreden, in aufwendigen Broschüren oder eben in dicken Bilanzbüchern, die vermutlich dann doch allesamt niemand liest. Und wenn das alles nichts hilft, wird eine Umwegrentabilitätsstudie in Auftrag gegeben. In Oberösterreich wurde beispielsweise berechnet, dass alleine der Bau des Musiktheaters um damals prognostizierte 143 Millionen einen regionalen BIP Effekt von 194 Millionen Euro erzeugt.[2] Ähnliche euphorische Studien wurden auch für das Kulturhauptstadtjahr durchgeführt.

So mutet das offizielle, politische und mediale Bilanzieren oft als Rechtfertigung der getätigten monetären Investition vor der Bevölkerung an. Inhaltliche Aspekte werden dabei selten genannt. Noch seltener wird die Ausübung der Kultur um der Kultur, bzw. der Kunst um der Kunst willen ins Spiel gebracht. Kurz: In der Kulturpolitik wird zunehmend um den heißen Brei herumgeredet.

Kulturpolitik-Kritik-Krise

Vor kurzem las ich in einer Tageszeitung, dass Kunst und Kultur nur in der medialen Rezeption und Kritik ihre Wirkung entfalten können. Da diese durch den Medienwandel allerdings im Rückzug begriffen ist, entstehe laut Autor eine große gesellschaftliche Gefahr. Ich lehne diese These als unscharf ab, da hier die mediale mit der allgemeinen Öffentlichkeit verwechselt wird. Noch nie zuvor gab es so viele Foren der Kulturkritik wie heute. Jedes online zu konsumierende Stück Kunst wie Musik oder Film wird kommentiert, bewertet, geteilt und damit einer unmittelbaren und andauernden Kritik unterworfen. Ich glaube, der Artikel war eher als Unbehagen darüber zu lesen, dass den Medien die Deutungshoheit über die Wertigkeit von Kunst und Kultur abhanden gekommen ist.

Wo ich die These in Bezug auf Kultur selbst ablehne, so möchte ich diese These aber auf die Kulturpolitik an sich übertragen. Die Kritik der Kulturpolitik wird in der medialen Öffentlichkeit oft nur noch dann zum Thema, wenn finanzielle oder betriebswirtschaftliche Probleme oder gar ein BesucherInnenschwund publik werden. Die Einschätzung, ob Betriebe und Organisationen inhaltlich auf der Höhe der Zeit sind, trauen sich nur noch wenige Personen und noch weniger Journalist*innen vorzunehmen. Es ist grotesk: Noch nie in der Geschichte dieses Staates wurde so viel öffentliches Geld für Kunst und Kultur ausgegeben. Gleichzeitig gab es noch nie so wenig Diskussion darüber, welche Ziele man damit verfolgt.

Kulturpolitik ist zu einem absoluten Nischenthema geworden, geführt von wenigen Expert*innen und Medien. Es ist in fast allen Parteien schwer geworden, Politiker*innen zu finden, die sich sachlich intensiv mit Kulturpolitik auseinandersetzen. Und für diese wenigen Hartnäckigen ist es wiederum noch schwerer geworden, medial Gehör zu finden.

Leitbild-Leiden

Das ist schade, denn ein scharfer Blick und ein offen geführter Diskurs sind sowohl im institutionellen als auch im freien Bereich überfällig. In den letzten Jahren haben viele Kommunen und Bundesländer eigene Kulturentwicklungsziele und -pläne definiert, welche oft von erstaunlich hoher Qualität sind. Sie stellen hervorragende Werkzeuge dar, um die Öde der quantitativen Argumente zu verlassen und die kulturpolitischen Entscheidungen an qualitativen Kriterien zu messen und zu diskutieren. Bloß werden sie nur viel zu selten als solche verwendet. Es gibt viele Gründe im Linzer Kulturentwicklungsplan zu finden, um die Förderung des Kronefests sofort einzustellen. Es wäre spannend, viele der verstaubten und verschlossenen oberösterreichischen Landesinstitutionen auf die im Kulturleitbild definierten Kriterien der Beteiligung von sozialen Randgruppen zu überprüfen. Ebenso lassen sich bei den Förderungen des Bundes ohne großen Aufwand Diskrepanzen zwischen den kulturpolitischen Vorgaben und der realpolitischen Umsetzung und der Verteilung der Ressourcen nachweisen. Und auch viele freie Initiativen täten ein Gutes daran, ihre eigenen Leitbilder auf den Prüfstand zu stellen und sich zu fragen, ob ihre Strukturen und Ziele nach 35 Jahren noch zeitgemäß sind. Am Besten in einem offenen und partizipativen Diskurs.

Die Kulturpolitik und ihre politischen, medialen und auch verwaltenden Proponent*innen sollten also den Mut aufbringen, sich nicht nur hinter ökonomischen und quantitativen Argumenten zu verstecken. Diese sind nicht per se falsch, unwahr oder unwichtig. Aber es besteht die Gefahr, dass wir als Gesellschaft durch diese argumentative Schieflage aus den Augen verlieren, warum wir Kunst und Kultur einen so hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft einräumen. Dieser wird in den Sonntagsreden oft gut und ausführlich begründet.

Es gibt also auf politischer und medialer Ebene durchaus ein Bewusstsein für die der Kultur und Kunst inhärenten Qualitäten. Wir sollten dafür sorgen, dass sich diese wieder stärker im medial- politischen Alltag widerspiegeln und daraus kulturpolitische Konsequenzen gezogen werden. In dem Sinne lasse ich meinen Meinungsteig nun rasten und bereite schon mal fünf Kerzchen für das Geburtstagskind Linz09 vor. Heuer darf es sich nochmal sorglos feiern. Aber nächstes Jahr wird unerbittlich Bilanz gezogen. Denn wie hieß es zu Beginn im Mission Statement so schön? «Linz 2009 ist auch Linz 2015, und daran wollen wir gemessen werden.» Alles klar?

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[1] Veranstaltung am 6. November, Schlossmuseum Linz
[2] Schneider / Dreer: „Volkswirtschaftliche Analyse des neuen Musiktheaters in Linz“, 2006, → land-oberoesterreich.gv.at/cps/rde/xchg/ ooe/hs.xsl/48803_DEU_HTML.htm

Best of April: Festivals, Konferenzen, Vorträge und mehr

Hui, der April hat es in sich, mein Kalender quillt über vor lauter interessanten Veranstaltungen, Konferenzen und anderem Kokolores, den man sehen sollte. Hier mein persönliches Best of, mit der vorfreudigen Hoffnung manche von euch dort und da anzutreffen:

Sound:frame x Departure Conference
13.-14.04.12, MAK Wien
Asche auf mein Haupt, ich fahre heuer das erste Mal aufs Sound:frame Festival, von dem ich schon so viel gutes gehört habe. Die (ich glaub neue) Konferenz beschäftigt sich am ersten Tag auf hohem theoretischem Niveau mit audiovisueller Kunst-Produktion und ihren gesellschaftlichem Kontext. Am zweiten Tag wird es selbstreflektiv, es wird der Frage nach Sinn und Unsinn des Formats Festival nachgegangen. Spannend! Und Abends gibt’s natürlich ein fettes Musikprogramm im Brut – Ars Electronica Festival, Messer rausgepackt und Scheiben abschneiden! Mehr Infos gibt’s auf der Soundframe Homepage

Kunst, Politik und Aktivismus. Wie sollen wir uns organisieren?
16.04.12, 19:30, Keplersalon Linz
Soziale Bewegungen neigen zur Institutionalisierung: aus Streikenden werden Gewerkschaften, aus Hausbesetzungen werden Genossenschaften, aus jungen KonzertveranstalterInnen werden Kulturvereine, aus Kunstvereinigungen werden DienstleisterInnen. Wann machen temporäre Assoziationen Sinn, wann die politische Institutionalisierung? Was kann man als KünstlerIn, AktivistIn oder PolitikerIn aus den Erfolgen und Fehlern der sozialen Bewegungen lernen? Diesem Thema werden die beiden von mir hochgeschätzten Persönlichkeiten Stefan Haslinger und Tina Leisch nachgehen. Für mich aus aktuellem Anlass hochinteressant ;-). Mehr Infos auf der Kupfakademie Homepage.

KEP WS Visions- und Zielfindungsworkshops VI
17.04.2012, 16:00 Uhr, Architekturforum Linz
Der KEP Neu-Prozess biegt langsam in die Zielgerade, der letzte inhaltliche Workshop wird sich um die Themenkomplexe „Internationalität / Mobilität“, „Kunstmarkt / Autonome Kulturarbeit“, „Intellektuelles Leben / Dialogfähigkeit“ und „Arbeitsbedingungen / Personelle Ressourcen“ drehen. Nicht nur spannend, weil ich in der KEP-Steuerungsgruppe sitze, sondern weil der Bereich „Autonome Kulturarbeit“ jener ist, in dem ich mich zuhause fühle. Mehr Infos auf der KEP-Homepage.

Mayday Linz Orgatreffen
17.04.2012, 19:00 Uhr, Stadtwerkstatt Linz
Hoch die Arbeit? Lieber „Hände hoch“! Und zwar einerseits gerichtet an das 1%: Denn wollen wir wirklich weiter hinnehmen, dass die Reichen und Superreichen weiterhin ihren Luxus auf unsere Kosten ausleben? Und andererseits gerichtet an die 99%: Hände hoch, Fäuste hoch, raus auf die Straße! Zeigen wir am 1. Mai, dass wir uns diese Scheiße nicht mehr länger gefallen lassen! Zeigen wir am 1. Mai, dass es sehr wohl Alternativen gibt zu dem neoliberalen Moloch, der weltweit für Hunger und Elend sorgt! Zeigen wir am 1. Mai, dass die letzten Sandkörner durch das Stundenglas des Kapitalismus rieseln!
So weit mein Aufruf zur heurigen alternativen Maidemo. Wer Lust hat, was beizutragen, kommt zum offenen Orgatreffen! Mehr Infos gibts bei Mayday-Linz.

Außer Kontrolle – Was das Netz über dich weiß
18.04.2012, 19:00 Uhr, Ars Electronica Linz
Das Ars widmet sich endlich mal wieder einem politischen Thema, nämlich der Vorratsdatenspeicherung, die so beliebt ja nicht unbedingt ist (Schon unterzeichnet?). Bei der Ausstellungseröffnung ist auch Max Schrems dabei, der durch seine Kampagne gegen Facebook gerade weltweit für Furore sorgt. Mehr Infos gibt’s beim AEC.

„Von der Kunst nicht dermaßen regiert zu werden“
20.04.12, 14:00 Uhr, Audimax Kollegiumsgasse, Kunstuniversität Linz
Wem nützt Kultur? Wie führt unser Begriff von Kultur in der politischen Praxis zu Legitimation von Herrschaftsverhältnissen? Wie kann eine „Kulturrevolution in den Institutionen“ als neue Handlungsanleitung in der Einwanderungsdebatte gesehen werden? Teil zwei der spannenden Symposienreihe „Wem nützt Kultur?“ von Daniela Schopf und Susanne Baumann. Mehr Infos in diesem PDF.

Martin Semmelrogge performt, spricht und liest
20.04.12, 19:00 Uhr, Tabafabrik Linz
Ungestüm, wild, ehrlich. Auf unnachahmliche Weise performt, spricht und liest Semmelrogge um Thema Freiheit und Rebellion. Er bedient sich dabei aus seinem umfangreichen Potpourri aus Film, Theater, Hörbüchern und seiner Lebenserfahrung, die er in seiner Autobiografie “Das Leben ist eine Achterbahn” festgehalten hat. Ich kannte den Herren bis vor kurzem noch nicht, bin nach den Schilderungen des Chris Müller aber schon sehr gespannt. Mehr Infos auf dem Tabakfabrik Blog.

Crossing Europe Filmfestival
24.-29.04.2012, Moviemento, OK, Citykino, KAPU, Zollamt, Linz
Last, but not least, eines der schönsten Festivals in Linz, das für zumindest eine Woche für wirklich internationalen Flair in der Stadt sorgt (und das bei einem Budget, das die Viennale für ein Buffet verbrät). Mein Eröffnungsfilm wird „Six million and one„, eine österreichisch-deutsch-israelische Koproduktion. Oh, und ich werde bei der Nightline am Mittwoch, dem 25.04. gemeinsam mit anderen Backlab-Haudraufs auflegen. Alles zum umfangreichen Programm findet ihr auf crossing-europe.at