Dass sich die ÖVP zumindest auf Bundesebene nicht mehr der Tatsache verschließt, dass Österreich ein Einwanderungsland ist, ist zu begrüßen. Auch die Berufung eines eigenen Integrationsstaatssekretärs, Sebastian Kurz, zeugt prinzipiell von einem Fortschritt im Denken der Volkspartei, unabhängig von dessen tatsächlicher politischer Arbeit betrachtet. Doch auf Lokalebene scheint sich diese Neuausrichtung noch nicht rumgesprochen haben, sieht man sich die neuste Presseaussendung der Linzer ÖVP-Gemeinderätin Cornelia Polli an. Mit Hilfe von Zahlen aus der Volkszählung 2001 unterstellt sie unterschwellig den in Linz lebenden AusländerInnen eine latente Integrationsverweigerung und kommt zu dem Schluß, dass wir mehr „Datenmaterial über Umgangssprache und Religion der Migranten“ brauchen, um „neue integrationspolitische Akzente“ setzen zu können.
Sehen wir uns die Aussagen von Frau Polli mal im Detail an:
Die Volkszählung 2001 hat aufgezeigt, dass mehr als ein Drittel der in Linz lebenden Migranten im privaten Umfeld ausschließlich eine ausländische Sprache pflegten.
Hat sie das? Im Bericht „Volkszählung 2001 – Hauptergebnisse I, Obererösterreich“ findet sich auf Seite 85 folgende Tabelle 2:
12,1 % oder 22.126 in Linz lebende Personen haben also keine österreichische Staatsbürgerschaft, sind also Ausländer: „Analog dazu umfasst der Begriff Ausländer alle
Personen, die zwar in Österreich wohnen, aber nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, also auch Personen mit unbekannter oder ungeklärter Staatsbürgerschaft.“ – Seite 22, Begriffsdefinitionen.
Bei Tabelle 5 lernen wir etwas über die Umgangssprache der in Linz lebenden Personen:
Was sagt uns die Tabelle? Sprechen wirklich nur 154.787 der 183.504 LinzerInnen Deutsch? Das würde bedeuten, dass 28.717 LinzerInnen nicht Deutsch sprechen. Dieser Anteil von 15,6% liegt allerdings über dem Ausländer-Anteil von 12,1%. Sehen wir uns also dazu nochmals die Begriffsdefinitionen auf Seite 22 an:
„Zu dieser Frage war die Sprache (auch mehrere Sprachen) anzugeben, die gewöhnlich im privaten Bereich (Familie, Verwandte, Freunde usw.) gesprochen wird. Obwohl Fremdsprachenkenntnisse nicht angegeben werden sollten, scheint dies doch gelegentlich der Fall gewesen zu sein. Die Angabe zweier Sprachen wurde zwar vercodet und als Tabelle in der Datenbank gespeichert, in dieser Broschüre sind der Übersichtlichkeit halber die Doppelangaben (z.B. Ungarisch und Deutsch) mit der Einfachangabe der nichtdeutschen Sprache (z. B. „Ungarisch“ allein) zu einer gemeinsamen Position zusammengefasst. Unter „Ungarisch“ ist daher die Angabe „Deutsch und Ungarisch“ immer mitgemeint.“
Das heißt: Die Zahlen der Volksbefragung 2001 geben keinen Aufschluß darüber, wie gut es um die Deutschkenntnisse der LinzerInnen wirklich bestellt ist. Die Behauptung, dass ein Drittel der MigrantInnen im privaten Umfeld ausschließlich eine ausländische Sprache pflegt, ist aus der Luft gegriffen und mit Zahlen nicht belegbar. Zweitens stellt sich natürlich die Frage, was denn eine ausländische Sprache ist. Ist es nicht einfach als gesellschaftliche Tatsache hinzunehmen, dass in Österreich auch Menschen leben, die mit anderen Sprachen aufgewachsen sind? Sind diese Sprachen, die im Vielvölkerstaat Österreich seit Jahrhunderten beheimatet sind, wirklich ausländisch?
Gut, gehen wir weiter Pollis Aussagen durch:
Weiters zeigte die Volkszählung 2001 einen anhaltenden Anstieg der Zahl der in Linz lebenden Muslimen mit entsprechenden Integrations-Hemmnissen auf.
Das ist pure Ausländerfeindlichkeit und Lüge, nicht mit Zahlen belegbar. In der Volkszählung 2001 gab es kein Kästchen zum Anhacken: „Sind sie Muslim mit entsprechendem Integrations-Hemmnis?„. Hier wird MuslimInnen pauschal unterstellt, dass sie sich nicht integrieren wollen, ein Sprachduktus, den man sonst nur von der FPÖ kennt.
„Deutsch ist die Eintrittskarte in die österreichische Gesellschaft. Wenn ein großer Teil der Migranten im privaten Umfeld nur die ausländische Sprache pflegt, verheißt dies für die regionale Integrations-Situation nichts Gutes und verlangt nach neuen integrationspolitischen Akzenten“, betont die Integrationssprecherin der ÖVP Linz, GR Cornelia Polli.
Und weiter gehts im FPÖ-Jargon – Hier spricht man Deutsch! Einer von uns sein, dafür muss man eine Eintrittskarte lösen. Integration heißt für Frau Polli, dass sich der/die MigrantIn an die Mehrheitsgesellschaft anpassen muss. Integration muss also nur von einer Seite geleistet werden, dass die Mehrheitsbevölkerung zum Beispiel vermehrt Türkisch lernen könnte, ist natürlich ausgeschlossen. Eine leider sehr verbreitete Ansicht im strukturell-rassistischem Österreich. Doch dass sogar eine Integrationssprecherin vom aktuellen integrationspolitischen Diskurs Lichtjahre entfernt ist, gibt einem nochmals mehr zu denken. Aber gehts noch ärger? Ja!
Gleichzeitig verweist sie auf klare Zusammenhänge zwischen muslimischem Glauben und Integrationsverhalten: laut Studien haben Muslime weniger Kontakt zur angestammten Bevölkerung, stehen speziell türkische Muslime der Aufnahme-Gesellschaft deutlich skeptischer gegenüber als andere Migranten und stellen generell 45 % der Muslime die Regeln der Religion über die Regeln des Staates.
Es kann schon sein, dass Muslime weniger Kontakt zur „angestammten“ Bevölkerung haben. Doch wundert es jemanden, dass Menschen die tagtäglich mit Vorurteilen und Alltagsrassismus konfrontiert sind, die sozial und wirtschaftlich deutlich schlechter gestellt werden, keine allzu große Lust auf Kontakt mit der Stammbevölkerung haben, von der sie angefeindet werden? Egal, weiter. Woher kommt diese Behauptung, dass 45% der Muslime die Regeln der Religion über die Regeln des Staats stellen? Wahrscheinlich meint sie damit eine 2006 von der damaligen Innenministerin Liese Prokop vorgestellte Studie, aus der diese den Schluß zog, dass 45% der österreichischen Muslime „integrationsunwillig“ sind. Diese Interpretation hat der Autor der Studie, Mathias Rohe, allerdings entschieden zurückgewiesen:
Das von Prokop verwendete Wort „integrationsunwillig“ kommt gar nicht vor. Das trage die Studie auch nicht, betonte deren Verfasser, der deutsche Islamexperte Mathias Rohe am Freitag in Gegenwart der Innenministerin. Rund 45 Prozent der Muslime hätten eine „große Distanz“ zur Mehrheitsbevölkerung. Ähnlich stark ist aber auch die Distanz auf Seiten der Österreicher, betonte der Studienautor. Anders als dies das Wort „unwillig“ impliziert, betonte Rohe, dass die Ursachen für die „Distanz“ nicht nur bei den Moslems lägen.
Frau Polli hat damit also nicht nur eine falsche Interpretation einer Studie zitiert, sie hat mit ihrer Auslegung, dass 45% der Muslime „die Regeln der Religion über die Regeln des Staats stellen“ sogar eine falsche Interpretation einer Studie falsch zitiert. Es kann aber noch kurioser kommen: In den Presseunterlagen einer ÖVP-Pressekonferenz taucht eine ähnliche Formulierung auf:
45 % der muslimischen Migranten in Österreich gehören also einer Denkrichtung an, die sie ideologisch vom österreichischen Staat abrückt: Das ist das Ergebnis einer Studie von Mathias Rohe (Uni Erlangen, Wien, 2009) und ident auch das Ergebnis einer Migrantenbefragung im Auftrag des Innenministeriums (2008).
Da ich trotz intensiver Webrecherche keine Studie aus dem Jahre 2009 von Dr. Rohe finde, rufe ich einfach in seinem Institut in Erlangen an und erfahre von der erstaunten Sekretärin: Es gab 2009 keine Studie, wahrscheinlich sei die aus 2006 gemeint. Also verweist die ÖVP nicht nur schlampigerweise auf eine nicht existente Studie, sondern interpretiert die Zahlen nochmals falscher, wie es ihr halt ins Bild passt. Frei nach der Devise: Wenn mans lang genug wiederholt, wirds schon jemand glauben. Und was steht in der Migrantenbefragung des Innenministeriums? Dort gaben 28% der Befragten, also nicht nur muslimische MigrantInnen, an, dass Ihnen die Gesetze und Vorschriften ihrer Religion wichtiger sein, als die des österreichischen Staates. Das ist doch ein signifikanter Unterschied zu den falsch zitierten 45% und weit weg von „ident“.
Und wenn man schon dabei ist, sollte man sich die Studie gleich genauer ansehen. 67% der Befragten stimmen der Aussage „sehr“ und „eher“ zu, dass es „in Österreich viel Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gibt“. Und auf noch eine Zahl möchte ich noch hinweisen: 70% der befragten MigrantInnen sind „im großen und ganzen“ und „sehr“ einverstanden mit der österreichischen Gesellschaft, während die selbe Zustimmung in der Gesamtbevölkerung lediglich eine Spur höher bei 72% liegt.
Kommen wir aber zu Gemeinderätin Pollis Conclusio:
„Damit gibt die Zahl der in Linz lebenden Muslime auch Auskunft über Integrationsklima und integrationspolitische Notwendigkeiten. Kurzum: Linz braucht für eine zielgenaue Ausrichtung der Integrationspolitik weiterhin Datenmaterial über Umgangssprache und Religion der Migranten. Integrationsreferent Luger hat dafür Sorge zu tragen“, fordert ÖVP-Gemeinderätin Polli.
Auch wenn ich nicht weiß, wie das Sammeln von Datenmaterial das Integrationsklima verbessern soll, eines ist klar: Wer als Integrationssprecherin bewusst mit falschen Zahlen hantiert und ausländerfeindliche Vorurteile verbreitet, der tut unserer Gesellschaft sicher nichts gutes und bekleidet den falschen Posten. Sehr geehrte Frau Polli, informieren sie sich gründlicher, bevor sie sich zu solchen heiklen Themen äußern!