„… im Zweifelsfall ist eine Besetzung dem Event vorzuziehen“

Für die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Bildpunkt der IG Bildende Kunst ist ein Interview hat Sophie Schasiepen die Yvonne P. Doderer und mich zum Thema Eventisierung befragt. Das gesamte Interview findet ihr hier sowie in einem Artikel im Online-Standard.

Bildpunkt

Bildpunkt: Eventisierung beschreibt grundsätzlich eine Fokussierung auf Ereignisse. Der sicherlich etwas schillernde Begriff wird vor allem in Bezug auf Stadtpolitik(en) und das Feld der Kultur verwendet. Allerdings werden so unterschiedliche Ereignisse wie Kunst-Biennalen, der Berliner „Karneval der Kulturen“, Bezirksfeste und Veranstaltungen darunter gefasst, die, wie etwa Design-Wochen, im Grunde Verkaufsmessen sind. Eine zentrale gemeinsame Dynamik der Eventisierung scheint uns in einer Konzentration von Geld und Aufmerksamkeit zu bestehen, wobei beides zugleich anderswo abgezogen wird: weg von der kontinuierlichen Finanzierung von Kulturarbeit etwa oder auch von Leuten, die in hipper werdenden Stadtvierteln als nunmehr unrentabel gelten. Yvonne P. Doderer, bezogen auf die Stadt schreiben Sie, die „Ökonomisierung von Raum“ sei nicht neu, aber neu seien die Ausmaße, in denen die Umstrukturierung der Städte betrieben werde. Welche Rolle spielt ein Phänomen wie Eventisierung dabei?

Y.P.D: Diese Ökonomisierung erfolgt im Kontext einer neoliberalen Raum- und Stadtpolitik, die urbane Raumproduktion nahezu ausschließlich unter dem Vorzeichen der Interessen von Kapitaleignern betreibt und jeden Anspruch auf Gemeinwohlorientierung verabschiedet hat. Was die Lage in vielen Städten verschärft – zumindest in denjenigen, die in tatsächlichen oder projektierten Wachstumszonen liegen –, ist der Umstand, dass inzwischen mehr Kapital zirkuliert, das in den Grund- und Boden- bzw. Immobilienmarkt investiert wird. Was dabei herauskommt, lässt sich bereits vielerorts besichtigen. Diese Homogenisierung – ein Altenund Pflegeheim ist heute kaum noch von einem Bürogebäude zu unterscheiden und in jeder größeren Stadt findet sich eine nahezu identische Abfolge immer derselben Markenshops und Einkaufszentren – muss in irgendeiner Form aufgewertet und attraktiv gemacht werden. Dazu muss entweder Authentizität generiert oder ein Alleinstellungsmerkmal konstruiert werden. Ein Mittel ist die Etablierung einer Narration beispielsweise von der hippen, sexy Stadt wie im Fall von Berlin, ein anderes Mittel ist die Bespielung von städtischen Räumen mit Eventkultur aller Art.

Bildpunkt: In der Geschichte der Linzer Tabakfabrik spielt die Privatisierung urbanen Raums auch eine große Rolle. Nach der Abwicklung der Austria Tabakwerke wurden hier allerdings die Fabrikgebäude 2009 von der Stadt aufgekauft, auf der Homepage wird angesichts dessen gar euphorisch von einem „Symbol für eine Trendwende in der Politik“ gesprochen. Eine solche Wende würde ja auch die Hinwendung zu kontinuierlicher Finanzierung und Abwendung von Projektlogik und Event bedeuten. Das scheint uns fragwürdig. Gibt es dafür noch andere Indizien? Wie schätzt du, Thomas Diesenreiter, das ein, auch vor dem Hintergrund deiner eigenen aktivistischen Erfahrungen?

T.D: Der angesprochene Satz stammt von mir und ist tatsächlich recht euphorisch formuliert. Der gesamte Text ist aber nicht nur als Befund, sondern auch als politische Kampfansage zu lesen. Was das Projekt Tabakfabrik bis jetzt und hoffentlich auch in Zukunft maßgeblich von anderen vergleichbaren Initiativen unterscheidet, ist eben die Trägerschaft durch die öffentliche Hand. Was als Gentrifizierung und Eventisierung kritisiert wird, beschreibt meist Prozesse, die von der Politik zwar geduldet und auch unterstützt werden. Aber ich glaube, dass da oft bequem den dann ins Spiel gebrachten Marktzwängen nachgegeben wird. OrganisatorInnen und ProfiteurInnen argumentieren dem TINAPrinzip entsprechend, dass es keine Alternative zu ihrer Form der Verwertung des urbanen Raumes gäbe. Unser Ziel ist es, einmal mit dem Gemeinwohl-Anspruch vor Augen zu versuchen, ein solches Stadtentwicklungsprojekt anzugehen. Dazu gehört eben sowohl ein Visionsanspruch als auch eine gehörige Portion Naivität.

Bildpunkt: Die Eventisierung ist ja nicht nur auf einen Ausdruck reiner Marktlogik oder auf eine bloße Folge städtischer Standortpolitik zu reduzieren. Nicht zuletzt die Mainstream-Soziologie hebt die Vergesellschaftungsfunktion von Events, also deren Identität stiftende Wirkungen und Effekte hervor. Welchen Stellenwert nehmen diese eurer Ansicht nach in den Eventisierungspolitiken ein?

Y.P.D: Diesbezüglich verweise ich in Anlehnung an Guy Debord auf den Unterschied zwischen Festival und Spektakel: Während beim Festival die Rollen AkteurIn und ZuschauerIn nicht getrennt sind, ist das Spektakel von deren strikter Unterscheidung gekennzeichnet. Insofern halte ich es für fraglich, dass spektakelförmige Inszenierungen in Stadträumen zur Identitätsbildung taugen, wenn sie auf bloßem Konsum anstelle von aktiver Beteiligung beruhen. Auf diesem Hintergrund werden ja auch manche Christopher Street Day-Paraden fragwürdig, wenn sie die Problematik homosexueller Identität nur noch als konsumfähigen Mainstream abfeiern.

T.D: Spannend ist, dass diese Identifikationsprozesse in beide Richtungen gehen – die Stadt definiert sich über ihre EinwohnerInnen, die EinwohnerInnen über ihre Stadt. Ich denke, dass es im Endeffekt darauf ankommt, bei solchen Identifikationsprozessen die Interessen der verschiedenen Parteien zueinander abzuwägen und abzustimmen. Wenn eine Stadt ein Filmfestival finanziell unterstützt, soll sie von mir aus damit auch Stadtmarketing betreiben. Brisant wird es, wenn sich als Primärinteresse die Maximierung der BesucherInnenzahlen oder des Umsatzes durchsetzt. Das konnte man in den letzten Jahren gut beim Linzer OK verfolgen.

Bildpunkt: Wenn Eventisierung auch eine Chance sein kann, um marginalisierten und peripheren Menschen und Anliegen die bis dahin verwehrten Gelder und Aufmerksamkeiten zu verschaffen, anhand welcher Kriterien entscheidet sich eurer Meinung nach, welche Form der Eventisierung akzeptabel ist und welche nicht?

Y.P.D: Für mich macht es einen Unterschied, wer eine Veranstaltung initiiert und mit welchem Ziel. Wenn, wie beispielsweise in Stuttgart, sich MigrantInnenvereine zusammenschließen und jedes Jahr ein mehrtägiges Kultur- und Musikfestival auf dem Marktplatz veranstalten, das zudem keinen Eintritt kostet, dann kann ein solches Event sogar Identitätsbildung im Sinne einer Identifikation mit der Stadt herstellen. Dass eine solche integrative Identifikation dann tatsächlich stattfindet, hat sich beispielsweise am Widerstand gegen das Bahn- und Immobilienprojekt Stuttgart 21 gezeigt, denn hier haben sich nicht nur die von der Presse fokussierten BürgerInnen der Halbhöhenlage, sondern auch MigrantInnen unterschiedlicher Herkunft beteiligt.

T.D: Mir schien Stuttgart 21 umgekehrt ein Negativbeispiel der Eventisierung politischer Prozesse. Ich hatte den Eindruck, dass es bei der Diskussion weniger um die inhaltliche Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Positionen ging, sondern mehr um einen durch die hohe Zahl der Protestierenden ausgelösten Medienhype. Wie auch immer, Events sind meiner Meinung nach ein legitimes Mittel der politischen Arbeit, aber sie sollten halt nicht das einzige bleiben und den Fokus auf den Inhalt nicht verstellen. Aber im Endeffekt muss jede/r für sich selbst entscheiden, welche Form sie/er wählt.

Bildpunkt: Kritische Kunst- und Kulturarbeit und selbst politischer Aktivismus sieht sich in dieser Frage ja einer gewissen Alternativlosigkeit ausgesetzt. Ohne eigene Events lässt sich kaum Aufmerksamkeit generieren, in ihnen formulierte Kritik findet sich schnell an den Oberflächen etablierter Institutionen wieder, ohne dass sich an deren Politik oder allgemeiner Förderstruktur viel geändert hätte. Welche Ansatzpunkte seht ihr dennoch für ganz andere Konzepte einer kritischen Praxis?

Y.P.D: Hier möchte ich noch einmal auf Stuttgart verweisen, denn auch etablierte Institutionen, wie in diesem Fall der Württembergische Kunstverein, können durchaus als Plattformen fungieren, die eine tiefergehende Reichweite haben. Dies ist ja die Fehlein- schätzung heutiger Kulturpolitik, die zuallererst auf BesucherInnenzahlen anstelle von Inhalten und auf temporäre Highlights anstelle von kontinuierlicher Kunst- und Kulturförderung setzt. Damit sich eine kritische Praxis entfalten kann, braucht es eine kontinuierliche Förderung von Kunst- und Kulturinitiativen aller Art und jeder Größe. Die Frage ist natürlich, ob dies überhaupt von politischer Seite gewollt ist. Gleichermaßen sind jedoch auch Kulturschaffende und KünstlerInnen gefragt, sich an stadt- und kulturpolitischen Auseinandersetzungen zu beteiligen, sich zu politisieren und ihre Forderungen konsequent zu stellen. Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, zeigen beispielsweise die Diskussionen um Zwischennutzungen, die ja eine Form städtischer Aufwertungspolitik darstellen und die immer noch häufig klaglos von den Kunst- und Kulturschaffenden hingenommen werden. Im Zweifelsfall ist dann eine Besetzung – wie im Fall des Hamburger Gängeviertels – einem bloßen Event vorzuziehen.

T.D: Die Schwierigkeit, Aufmerksamkeit für kritische Kunst- und Kulturarbeit und politischen Aktivismus zu generieren, hat für mich zwei Ursprünge: Erstens ein simpler Mangel an Mitteln – wenn eine Landesausstellung mehr Geld für Plakate und andere Werbung verballern kann, als alle freien Kulturinitiativen in OÖ insgesamt an Werbebudget haben, ist klar, warum wir uns schwertun, medial durchzukommen. Zweitens der katastrophale Zustand der Medienlandschaft, gerade in Österreich. Daher muss es weiterhin darum gehen, eigene alternative Mediennetzwerke aufzubauen, wie freie Radios und Fernsehstationen, Printprodukte und natürlich eigene starke Internetplattformen. Wir müssen uns stärker vernetzen, politisch denken und agieren und solidarisch die eigene/n Szene/n unterstützen sowie in etablierte Institutionen gehen und diese von innen ändern. Wenn wir mit der herrschenden Politik nicht zufrieden sind, müssen wir halt selber bessere machen. „The price of a successful attack is a constructive alternative“, um den gerade wieder in Mode kommenden Herrn Alinsky zu zitieren.

Thomas Diesenreiter ist Künstler, Kulturarbeiter, politischer Aktivist und Mitgründer der Initiative Kulturquartier Tabakwerke in Linz.

Yvonne P. Doderer ist freie Architektin und Stadtforscherin, betreibt das Büro für transdisziplinäre Forschung & Kulturproduktion in Stuttgart und ist Professorin für Cultural Studies mit Schwerpunkt Geschlechterforschung an der FH Düsseldorf.

Das Gespräch wurde im Oktober 2012 von Sophie Schasiepen und Jens Kastner per E-Mail geführt.

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