Offener Brief: Lieber Bettelverbote abschaffen als Brathendl essen

Heute hat mich ein nettes E-Mail von der Führungsebene der SPÖ Oberösterreich erreicht:

Email SPOÖ Wahl 2015 Brathendl

Es war wohl zwar falsch adressiert, aber diese Gelegenheit wollte ich nutzen, um für eine Angelegenheit einzustehen, die mir am Herzen liegt:

Sehr geehrter Herr Landesparteivorsitzender Entholzer, sehr geehrte Frau Soziallandesrätin Jahn, sehr geehrter Herr Klubobmann Makor, sehr geehrte Landtagspräsidentin Weichsler-Hauer!

Danke für Ihre Einladung zu Ihrer Wahlkampfveranstaltung. Dass Sie mich aber mit „Genosse“ ansprechen, überrascht mich etwas, da mir kein Beitritt zur Sozialdemokratischen Partei Oberösterreichs erinnerlich ist.

Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, ihnen auszuführen, was mich davon abhält, Mitglied ihrer Partei zu sein. Es ist eine vertrackte Sache: Denn prinzipiell bin ich ein großer Anhänger der Prinzipien der Sozialdemokratie, also Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität. Ich versuche diese und andere Grundsätze täglich in meiner Arbeit und in meinem Engagement umzusetzen und zu leben.

Selbiges vermisse ich allerdings in der Arbeit und der Positionierung der SPOÖ. Besonders der Kurswechsel der SPOÖ in der Frage der Bettelverbote im vergangenen Jahr hat nachdrücklich meine Meinung zur SPOÖ und den derzeit handelnden Personen negativ beeinflusst.

Das betrifft einerseits die inhaltliche Ebene: Wer das soziale Phänomen der Armut mit sicherheitspolitischen Ansätzen behandelt, löst nicht das Ursprungsproblem. Im Gegenteil, eine solche Politik führt zur Verschleierung der Ursachen von Armut, da nun nebulöse Begriffe wie „Bettlermafia“ und „Bettelbanden“ alle BettlerInnen unter einen Generalverdacht stellen. Bis heute konnte trotz massiver Recherche der Polizei kein Beweis für die Existenz einer organisierten „Bettelmafia“ erbracht werden, lediglich einzelne Fälle von ausgenutzten Abhängigkeitsverhältnissen wurden bekannt. Unter Sozialwissenschaftlern gilt es als erwiesen, dass diese Begrifflichkeit nichts anderes als ein Kampfbegriff der Rechten ist, dem in der Realität jede Grundlage entbehrt. Bitte hinterfragen sie, ob sie ihre Politik wirklich auf Wörter und Argumente der Rechten stützen wollen.

Was hat die von ihnen propagierte Verschärfung der Bettelgesetze also gebracht? Die Verfolgung und Bestrafung von BettlerInnen hat in Oberösterreich zu einem menschenrechtlichen Ausnahmezustand geführt. Besonders die Lage der Armutsreisenden hat sich dramatisch verschärft. Sie bereichten von regelmässigen Beschimpfungen, Gewalt und massiver Repression durch die Sicherheitsbehörden. Die Möglichkeit der Bestrafung von Bettelns, die sie gemeinsam mit der ÖVP und der FPÖ durch die letzte Verschärfung des Sicherheitspolizeigesetzes bewusst herbeigeführt haben, wird von den Sicherheitsorganen exzessiv ausgenutzt. BettlerInnen, die mehrmals pro Tag einen 100 € Strafschein bekommen, sind die Regel, nicht die Ausnahme. Dies führt entweder dazu, dass sie noch mehr betteln müssen, um die Strafe zu bezahlen. Oder dass sie sich Geld ausborgen müssen und damit in Abhängigkeitsverhältnisse rutschen. Oder dazu, dass sie Haftstrafen antreten oder ohne Einkommen abreisen müssen. Nichts davon hilft ihnen in irgendeiner Weise, ihrer Armut zu entkommen. Eine zusätzliche Dimension ergibt sich noch dadurch, dass die Sicherheitsbehörden nach unserern Erfahrungen gezielt ausländische BettlerInnen verfolgen, besonders Menschen aus der Gruppe der Roma und Sinti. Es handelt sich hier um nichts anderes als um strukturellen Rassismus und strukturellem Antiziganismus.

Besonders Mütter mit Kinder werden massiv durch die derzeitige Gesetzeslage belastet, die das Betteln mit Kindern verbietet. Was auf den ersten Blick im Sinne des Kindeswohl nachvollziehbar klingt, ist aber kurz gedacht. Denn ohne Verwandte und ohne Kinderbetreuungsmöglichkeiten stehen die Frauen vor der Wahl, entweder ihr Kinder zum Betteln mitzunehmen, oder diese alleine am Stadtrand in ihren Zelten oder in den Abbruchhäusern, in denen sie leben müssen, zurückzulassen. Wie würden sie in dieser Lage handeln, wenn sie ein einjähriges Kind haben? Das ist keine Polemik: Das ist die Realität, die wir in der Bettellobby OÖ im Umgang mit den Betroffenen ihrer Politik sehen müssen.

Die zweite Ebene ist eine politisch-strategische: Denn vor fünf Jahren hat sich die SPOÖ noch deutlich gegen Bettelverbote ausgesprochen und sogar durch die Zivilgesellschaft angespornt eine Verfassungsklage eingebracht. Das wenige Jahre später eine Kampagne der Kronenzeitung ausreicht, dass die SPOÖ binnen 14 Tage eine 180 Gradwendung durchführt und sogar selbst die massive Verschärfung der Bettelgesetze vorantreibt, war für mich und viele in der Zivilgesellschaft ein massiver und nachhaltiger Schock.

Eine sozialdemokratische Partei, die nicht im Stande ist, soziale Antworten auf soziale Probleme zu finden, wird untergehen. Das haben wir in Griechenland, in Spanien und in Großbritannien gesehen. Wenn sie vermeiden wollen, als Kleinpartei zu enden, dann müssen sie wieder anfangen, ihre eigenen Grundsätze ernstzunehmen und sie zur Grundlage ihres Handelns zu machen.

Ein erster Schritt wäre die sofortige Abkehr von allen Bettelverboten. Wenn sie diesen Weg einschlagen, dann esse ich gerne auch ein halbes Brathendl mit ihnen.

Freundschaft!
Thomas Diesenreiter